Die fetten Jahre sind vorbei

Rezession bei den Informatikern: 60 erfolglose Bewerbungen und mehr / Angst vor Arbeitslosigkeit prägt Studienalltag / Illusionen sorgten für den Forschungsboom der achtziger Jahre  ■ Von Winfried Sträter

Es war wie im Schlaraffenland. Wer den Teil „Stellenanzeigen“ in den einschlägigen Zeitungen und Fachzeitschriften aufschlug, durfte sich stets aufs neue in dem Gefühl baden, daß er oder sie heiß begehrt war. Immer wieder war zu lesen: „Wir suchen Dipl.-Informatiker, Dipl.-Mathematiker mit oder ohne Berufserfahrung.“ Fette, doppelseitige Anzeigen oder gar Plakatwände im Dunstkreis der Universität baten die Damen und Herren Studenten, sich nach ihrem Diplom bitte gleich bei dieser oder jener Firma zu bewerben.

Wenige Jahre ist das her, aber die Zeiten haben sich gründlich geändert. Beinahe über Nacht haben die großen Computerhersteller und Software-Häuser aufgehört, Informatiker zu suchen. „Informatiker-Nachfrage: EDV-Kernberufe rückläufig“, meldete die Fachzeitschrift der Gesellschaft für Informatik Anfang dieses Jahres. Seither ist die Flaute dort Dauerthema. Im Mai berichtete das Fachblatt, daß sich selbst in Baden- Württemberg die Situation für Nachwuchs-Informatiker so sehr verdüstere, daß Ende dieses Jahres die Bilanz „rabenschwarz“ aussehe.

An der TU beobachten Professoren, daß sich das Studienverhalten der angehenden Informatiker verändert. „Sie versuchen auf einmal, möglichst schnell fertig zu werden, alles Überflüssige lassen sie weg“, konstatiert Prof. Erhard Konrad am TU-Institut für Angewandte Informatik. Die Angst um den Arbeitsplatz bestimme mehr und mehr den Studienalltag. Wer fertig ist, muß zumindest damit rechnen, daß er oder sie zahlreiche Bewerbungen verschicken muß. 20 Bewerbungen, auf die sich die Firmen entweder gar nicht oder mit einer Absage melden, gehören heute zum Alltag der Diplom-Informatiker. Eine TU-Absolventin brachte es auf bislang mehr als 60 vergebliche Bewerbungen.

Für Absolventen, die an der TU ihr Diplom erworben haben, kommt erschwerend hinzu, daß das TU-Diplom, wie ein Student es vorsichtig umschreibt, „wenig aussagekräftig ist“. Auch wenn Prüfungen nicht gerade glänzend verlaufen sind, werden bei den TU-Informatikern vorzugsweise exzellente Noten vergeben, und die Abschlußzeugnisse geben kaum darüber Auskunft, welche speziellen Kenntnisse sich die Absolventen erworben haben.

Die Beschäftigungskrise der Informatiker ist an der Universität auch an den Bewerbungen für befristete Mittelbau-Stellen abzulesen. Vor wenigen Jahren noch hatte die TU Schwierigkeiten, qualifizierte Bewerber für die Stellen des wissenschaftlichen Nachwuchses zu finden. Die Industrie zog alle Kräfte ab. In diesem Jahr registrierte Erhard Konrad mit Verwunderung nicht nur den gestiegenen Bewerberandrang auf zwei ausgeschriebene Mittelbaustellen, sondern mehr noch, daß sich Leute bewarben, die bereits in der Industrie Karriere gemacht hatten. Nicht nur Berufsanfänger sind davon betroffen, daß die Unternehmen bis hinaus ins Management Arbeitsplätze abbauen und zugleich kleinere Software-Häuser in Konkurs gehen. Im Stuttgarter Raum mußten im Gefolge der Einbrüche bei IBM schon zwei Dutzend Software-Firmen ihre Pforten schließen. Ein kleines Berliner Unternehmen rettet sich zur Zeit damit über die Runden, daß es seit Monaten seinen Angestellten keinen Lohn mehr auszahlt.

Die Beschäftigungskrise für Informatiker hat mehrere Gründe, der wichtigste aber ist der Zusammenbruch hochfliegender Erwartungen in der Computerindustrie. Wie in einem Fieberwahn hatte die Industrie in den achtziger Jahren ihre Forschungskapazitäten aufgestockt. Nach der Ankündigung aus Japan, daß die Industrie dort in absehbarer Zeit Systeme mit künstlicher Intelligenz auf den Markt bringen werde, packte in der gesamten westlichen Welt die Elektronikfirmen die Angst, technologisch abgehängt zu werden. Ohne genau zu überlegen, ob sich die Investitionen auszahlen werden, wurde in der Forschung geklotzt.

Möglich war das durch den massenhaften Verkauf der neuen kleinen Rechneranlagen und der Personalcomputer. Die Firmen machten damit die großen Profite, die sie (zum Teil) in die Forschung steckten – in der Erwartung noch größerer Profite, wenn der Durchbruch zur ganz großen technologischen Revolution kommen würde, der Technik der künstlichen Intelligenz, der Expertensysteme. In der Branche herrschte Goldgräberstimmung, und auch an den Universitäten, wo die Informatik groß ausgebaut wurde, redeten Professoren auf Pressekonferenzen mit glänzenden Augen von Gründerjahren.

Ende der achtziger Jahre dämmerte nüchtern gebliebenen Experten, daß die künstliche Intelligenz vorerst ein Zukunftstraum bleiben würde. „Glaubt man den Anbietern“, schrieb 1986 ein hellsichtiger KI-Projektleiter bei BMW in einer Fachzeitschrift, „und springt auf den KI-Zug auf, kommt man spätestens während des ersten Expertensystemprojekts wieder auf den Boden der Wirklichkeit zurück.“ Dort ist ein paar Jahre später die gesamte Branche gelandet. Mit der Desillusionierung wurde die Notbremse gezogen: Die überdimensionierten Forschungskapazitäten wurden abgebaut, Labors geschlossen, oder es wurde und wird firmenintern umgeschichtet.

Denn auch das große Geschäft mit den PCs ist vorerst vorbei: Der Markt ist gesättigt. Daß gerade zu Beginn der Krise die FU mit großem Werbeaufwand ihre eigene Informatik aufgebaut hat, ist eine Berliner Pikanterie am Rande. So schlimm wie die leidgeprüften Lehrer in den achtziger Jahren sind die Informatiker allerdings trotz der Krise (die durch die Rezession noch verstärkt wird) in den Neunzigern nicht dran. Sie können sich immerhin auf ein Arbeitsfeld stürzen, für das sie eigentlich überqualifiziert sind: auf bloße Dienstleistungen, die Einrichtung neuer EDV-Anlagen in Firmen und Institutionen. Wer dazu bereit ist, braucht Arbeitslosigkeit nicht zu fürchten. Denn da bietet sich nach dem Kaufrausch der letzten Jahre noch ein weites Betätigungsfeld.