: „Eine Niederlage der Linken“
■ Der SPD-Bundestagsabgeordnete Horst Peter, Mitglied im linken „Frankfurter Kreis“, über ausgegrenzte Themen auf dem Parteitag
taz: Der SPD-Parteivorsitzende und rheinland-pfälzische Ministerpräsident Rudolf Scharping hat mit seinem Appell an die Geschlossenheit der Partei Erfolg gehabt. Ist die SPD nun, nach dem Parteitag von Wiesbaden, eine andere als vorher?
Horst Peter: Nein. Ein Parteitag kann eine Partei, die mehr als 125 Jahre alt ist, nicht verändern. Aber es gibt eine Veränderung im politischen Diskurs auf Parteitagen überhaupt. Der Anteil der Delegierten, die meinen, Vorstandspositionen dürfen nicht gekippt werden, nimmt zu. Das ist auch bei den anderen Volksparteien so.
Traditionell „linke Themen“ wie Rechtsradikalismus, Ökologie und Gleichberechtigung der Frauen stehen zwar im Programm, kommen aber in Scharpings Schwerpunktsetzung nicht mehr vor. Nimmt das die Parteilinke so einfach hin?
Der entscheidende Einschnitt waren die Petersberger Beschlüsse. Die Fragen, die die Linke in der SPD diskutiert hat, sind dort abgeräumt worden. Hier in Wiesbaden ist das Frauenthema tatsächlich ausgegrenzt worden, und das ist auf dem Parteitag auch mehrmals kritisiert worden. Die Frage Rechtsradikalismus aber ist in der Debatte um die Wirtschaftspolitik, wo sie auch mit hineingehört, thematisiert worden. Und zu diesem Antrag haben, wenn man von Pflichtbeiträgen absieht, vor allem Linke gesprochen.
Aber in der Wirtschaftspolitik gibt es doch eine Akzentverschiebung von der Ökologie zur technologischen Erneuerung.
Das Projekt, an dem wir arbeiten, ist der ökologisch-soziale Umbau der Industriegesellschaft. Dieses Projekt haben wir in den Antrag einarbeiten können. Nun stehen ökologische, sozialpolitische und wirtschaftspolitische Themen nicht mehr nur nebeneinander, sondern sind verzahnt. Ursprünglich war der Antrag als Signal gemeint: Die SPD öffnet sich in der Standortdebatte für die Wirtschaft. Es ist uns gelungen, dieses Signal wegzubekommen.
Die Rücknahme der Ökologie als eigenständiges Thema bedeutet keinen Verzicht, sondern ist die Chance, ein neues gesellschaftliches Zukunftsmodell zu haben. Zukünftige Koalitionsaussagen werden daran gemessen, wie weit die Verhandlungspartner bei so einem Zukunftsmodell sind. Das gibt es bei den Grünen, aber in Ansätzen auch bereits bei der CDU.
Scharping hat dafür plädiert, sich künftig auf die angestammte Klientel zu konzentrieren. In seiner Rede ging es mit den Betriebsräten los, und erst am Ende kamen die Intellektuellen und andere. Wenn man das zusammennimmt mit dem Wegfall von Themen, um die früher in der SPD gestritten worden ist, ergibt sich doch ein deutliches Signal.
Daß es diese Akzentsetzung gegeben hat, ist richtig. Allerdings hat die Diskussion auf dem Parteitag gezeigt, daß das im Berliner Programm formulierte Bündnisangebot an alte und neue soziale Bewegungen mit diesem Antrag zur Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik sowie zur Ökologie weiter gilt. Wenn Scharping glauben sollte, daß Arbeitspolitik unter Verzicht auf Ökologie und unter Verzicht auf Armutspolitik machbar ist, dann würde dies am Wahltag Stimmen kosten.
Wenn der Parteitag im Wirtschaftsprogramm eine Erfolgsgeschichte der Linken sein soll, heißt das, die Niederlage beim Großen Lauschangriff ist leichter zu verkraften?
Es war klar, daß es diese beiden Konfliktfelder geben würde. In der Wirtschaftspolitik haben wir das Blatt gewendet. Daß es nicht gelingen konnte, das Individualrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung zu bewahren, ist eine Niederlage der Linken, da kann man nicht drum herum reden.
Ich will das nicht abdämpfen, aber unsere Position gewinnt an Wert, wenn wir sie vergleichen mit der Niederlage, die wir in der Asylfrage erlitten haben. Diesmal haben wir Verhandlungschancen, weil zwischen Lauschangriff und der Aufnahme des Datenschutzes und der Aufnahme der informellen Selbstbestimmung ins Grundgesetz ein Junktim hergestellt worden ist, das auch die Union zu Zugeständnissen zwingt.
Die Koalitionsfrage war offiziell bislang offengehalten worden, aber der Parteitag hat keine günstigen Voraussetzungen für eine rot-grüne Regierungskoalition geschaffen. Können Sie sich allen Ernstes noch vorstellen, daß Rudolf Scharping und Joschka Fischer an einem Kabinettstisch sitzen?
Ich kann mir das durchaus vorstellen. Joschka Fischer ist ministrabel und damit auch anpassungsfähig. Scharping wird die Abschottung gegenüber den Grünen, die bei der Regierungsfindung in Rheinland-Pfalz deutlich wurde, auf Bundesebene nicht durchhalten können. Wenn das Wahlergebnis eine rot-grüne Koalition zuläßt, wird er sich auch mit dieser Option auseinandersetzen müssen.
Das Interview führten
Matthias Geis und Hans Monath
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