Es ist Krieg – und ein Dorf geht nicht hin

In der nordserbischen Wojwodina verweigert ein 2.000-Seelen-Dorf seit über einem Jahr kollektiv den Kriegsdienst / Nun hat sich die „Geistige Republik Zitzer“ für unabhängig erklärt  ■ Von Werner Paczian

Der ungewöhnlichste „Staat“ der Welt, die „Geistige Republik Zitzer“ (GRZ) in der nordserbischen Wojwodina, hat symbolisch seine Unabhängigkeit von Belgrad erklärt. Für den 28. November dieses Jahres planen die Zitzeraner nun – ebenfalls symbolisch – die feierliche Eröffnung einer US- Botschaft auf ihrem „Staatsgebiet“. Hinter dem merkwürdigen Gemeinwesen verbirgt sich das 2.000-Seelen-Dorf Trešnjevac in der Wojwodina, dessen BewohnerInnen im Mai 1992 mit einer kollektiven Kriegsdienstverweigerung den Zorn der serbischen Militärs auf sich gezogen hatten.

Trešnjevac nahe der ungarischen Grenze könnte noch heute ein ganz normales Dorf sein. Der Gestank von Viehmist und Traktorabgasen vermischt sich mit dem Duft von Heu, Stroh und frisch gebackenem Brot. Der Kirchturm ist das höchste Bauwerk. Hinter den kleinen Einfamilienhäusern sind Gemüsegärten angelegt und Ställe für das Vieh gezimmert.

Bis zum Mai 1992 war Trešnjevac auch ein ganz normales Dorf. Dann rollten 92 Panzer an, die mit einem Schießbefehl bei möglichen Unruhen in den „Kampf“ geschickt worden waren. Die Tanks umzingelten das friedliche Fleckchen, das man bequem mit zehn Schäferhunden hätte bewachen können. Die Staatsgewalt fühlte sich herausgefordert, weil die 2.000 größtenteils ungarischstämmigen DorfbewohnerInnen den weltweit meistzitierten Friedensspruch ernst genommen haben. Die Menschen in Trešnjevac oder Oromhegyes, wie der Ort auf ungarisch heißt, stellten sich vor, wie der Krieg ist – und keiner ging hin.

Anfang Mai 1992 waren über 200 männliche Dorfbewohner zu angeblichen Reserveübungen einberufen worden, ungefähr die Hälfte der „kampffähigen“ Männer zwischen 18 und 55. Die BewohnerInnen verfügten aber über Informationen, nach denen diese „Reserveübungen“ an der Front in Bosnien stattfinden würden. Dort eskalierte zu diesem Zeitpunkt bereits der Krieg.

Spontan organisierten die Menschen von Trešnjevac einen Massenprotest und richteten ein Friedenscamp in der zentralen Dorfkneipe ein, einer Pizzeria mit Billardtisch, die nach einem ehemaligen Besitzer „Zitzer-Club“ heißt. Nicht einer der Einberufenen folgte dem Marschbefehl. Obwohl die Panzer nach drei Tagen abzogen, hielten die VerweigerInnen ihr Friedenscamp 62 Tage aufrecht.

Vilmos Almasi (32) ist einer der Reservisten, die die Einberufung ablehnen. Wie andere auch wurde er Tage nach Protestbeginn zur Militärbehörde im nahegelegenen Subotica zitiert. Bei der Anhörung stellte sich dann heraus, daß von einer „Reserveübung“ keine Rede sein konnte: Vilmos Almasi wurde mitgeteilt, er habe sich geweigert, seine mobilizacija zu befolgen – die militärische Mobilmachung. Der Beschuldigte aber blieb ebenso standhaft wie sein gesamtes Dorf.

Mit dem erfolgreichen Protest in Trešnjevac kamen neue Ideen und eine Portion Witz. Kurzerhand wurde im Juni 1992 die „Geistige Republik Zitzer“ (GRZ) gegründet.

Laut eigener Verfassung ist sie eine „symbolische Republik ohne territoriale Ansprüche“, eine „geistige Verbindung zwischen allen Menschen, die den Frieden wollen“. Die kleinste Republik der Welt wächst seitdem mit jedem Tag. Ihre Bürgerinnen und Bürger kommen inzwischen aus Trešnjevac, Japan, Frankreich, Argentinien, Deutschland und den USA.

Spätestens als die GRZ ein eigenes Wappen einführte, mußte auch dem letzten Militär in Belgrad klarwerden, daß die Ausrufung dieser Republik ein symbolischer Akt ist. In einem bunt umrandeten Quadrat bilden drei Kugeln ein Dreieck: Die Billardkugeln aus dem „Zitzer-Club“. In der Wappenmitte ein schlichter Kreis, der für eine Pizza steht. Als Hymne wählen die Menschen den „Bolero“ von Ravel. „Das Stück fängt leise mit wenigen Stimmen an und wird immer dynamischer“, sagt Dorflehrer Lajos Balla. „Es ist wie unsere Idee.“

Mittlerweile sind die GRZ und ihre GründerInnen in akuter Gefahr. Die direkten Telefon- und Postverbindungen sind unterbrochen worden, um die WiderständlerInnen von der Außenwelt und anderen Friedensgruppen in Ex- Jugoslawien zu isolieren. Mit der symbolischen Eröffnung einer US- Botschaft im Rahmen eines Friedens- und Musikfestes will die GRZ den Geist des „Zitzer-Clubs“ unter den Schutz der internationalen Öffentlichkeit stellen. In einer ins Ausland geschleusten Erklärung werben die standhaften DörflerInnen für die Veranstaltung mit ihrem wichtigsten Friedens-„Kapital“: Den 200 Original-Einberufungs-Verweigerern, die noch immer in Trešnjevac ausharren.

Solibriefe und Anträge auf die Zitzer Staatsbürgerschaft bitte an: Lajos Balla, Ul. 29. Novembar 44, YU-24426 Oromhegyes/Trešnjevac