Sanssouci
: Nachschlag

■ „Geschichten und Geschäfte im Hof“ im fsk-Kino

Wer hätte sich nicht schon einmal gewünscht, einen Blick ins Innere eines Harems zu werfen, gilt er doch als Ort unaussprechbarer Geheimnisse, nicht zuletzt, weil sich sein Inneres wie die darin lebenden Frauen dem Blick der Fremden entziehen? Der französischen Anthropologin und Filmemacherin Eliane de Latour ist es nicht nur gelungen, in eine Haremsanlage am Niger vorzudringen, sie hat sogar eine Filmkamera eingeschleust. Und dank ihrer guten Sprachkenntnisse hat sie während eines neunwöchigen Aufenthalts hinter den hohen Mauern das Leben der vier Ehefrauen eines sozial gutgestellten Mannes in Wort und Bild eindringlich auf ihre Filmrollen gebannt. Der niemals auftauchende Ehemann, der in strenger Befolgung der islamischen Tradition als „Chef“ der Sippe die Frauen an diesem Ort zusammengeführt hat und sie dort eingesperrt hält, war bereits Zentrum eines früheren Films von Eliane de Latour.

In ihrer neuen, vor einem Jahr fertiggestellten Filmdokumentation „Geschichten und Geschäfte im Hof“ widmet sie sich dem weiblichen Blickwinkel dieser Existenz und zeigt eine Filmmontage rund um das Geschäftemachen, die Liebe und die Eifersucht. Dabei linst das Kameraauge gelegentlich durch die berühmten Einwegritzen der Jalousie auf die Straße, auf den Versammlungsplatz der Männer und Händler: Eliane de Latour hat den verborgenen Blick der Frauen teilweise öffentlich gemacht.

Die Kamera hält sich an diesen Blick der Frauen, läßt sich trotz einer gewissen Distanz auf ihre Sichtweise ein. Sie ist mitten im Geschehen, immer im Freien, auf dem Hof, wo die Frauen sitzen und warten, die Händler empfangen, ihre Geschäfte abwickeln, feilschen, streiten, kochen, sich um die Kinder kümmern. Und in langen, manchmal aufgrund der Schulterposition leicht zitternden Einstellungen folgt sie dem langsamen Lebensrhythmus der Frauen, bleibt ihren Gesichtern im Ausschnitt nahe und ihren Beschäftigungen über gelegentliche Nachfragen und Kommentare verbunden. Sie versucht dabei gleichzeitig die Räumlichkeit des Lebens im Harem zu erfassen, fixiert die Mauern, wagt nicht, wie die Händler vom Schattenreich des überdachten Hofes ins gleißende Licht der Straße zu treten, realisiert vielmehr über eine „Ästhetik der Anteilnahme“ eine „Montage der Einsperrung“, außerhalb jeder realen Zeit.

Die vier Ehefrauen sprechen über den abwesenden Mann, erzählen von ihrer Eifersucht und der Angst vor Einsamkeit und Alter. Sie loben das System der „Weißen“, in dem der Mann seine einzige Ehefrau nicht unglücklich macht, sprechen aber ohne tragische Geste: Man habe keine Wahl, man übe sich in Geduld. Obwohl die Frauen nicht viel Handlungsspielraum haben, bleibt ihnen doch das Geschäftemachen, dessen Gewinn ihnen allein zugute kommt. Lebensmittel wie Reis, Mais, Maniok, die ihnen von Großhändlern zugetragen werden, verkaufen sie in kleineren Portionen teurer weiter. So ist es das Geld, das stellvertretend für sie die Mauern durchquert, so sind es ihre Gaben und Geschenke, über die sie mit der Außenwelt verbunden sind. Daher laufen die Geschichten der Liebe und die Geschäfte auch in dem dramaturgischen Höhepunkt des Films zusammen: in der Sorge um die Mitgift für die Töchter, die nicht verschwenderisch und üppig genug ausfallen kann. Denn Verausgabung, Überbietung um das Doppelte des Selbsterhaltenen ist die Devise – und so arbeiten die Frauen ihr Leben lang an dem möglichen Prestigezuwachs über das Hochzeitsgeschenk. In einer langen Sequenz zeigt der Film die Vorbereitungen für die Hochzeit, die Ansammlung der Waren, die Teppiche und Krüge, den Stolz der Mütter, aber auch das Verbindende dieser Beschäftigung. Und schließlich den Transport der Waren hinaus auf die Straße, denn der Mutter kommt es zu, das Hochzeitslager im Haus des Schwiegersohns zu bereiten: Es ist das einzige Mal, daß die Kamera in der Karawane der Trägerinnen die Anlage verläßt. Und die „weiße“ Zuschauerin fragt sich beim Anblick der stolz die Geschenke auf ihren Köpfen balancierenden Frauen: und das alles, damit an einem anderen Ort die Geschichte der Einsperrung und Eifersucht von vorne beginnt? Michaela Ott

fsk, OmU, noch bis 24.11. und ab 29.11. bis 1.12., täglich 20 Uhr.