Die freundlichen Autonomen

Die beiden 18jährigen Freundinnen Nadine Huhnke und Diana Gnorski kandidieren bei der Kommunalwahl in Angermünde auf der offenen Liste der PDS  ■ Von Annette Rogalla

In Zukunft wird Diana wieder ruhig durch Angermünde gehen, untergehakt bei ihrer Freundin Nadine. Beide werden sie ohne Angst eine Disco besuchen und spätnachts aus ihrem „AlternativenLiteraturCafé“, dem ALC, nach Hause gehen. Und wenn Diana vor der Haustüre steht, wird sie sich nicht mehr besorgt umschauen, keine Gefahr, daß ihr jemand auflauert. Die Zukunft ist für Nadine und Diana friedlich. Dafür werden die beiden kämpfen.

Nadine Huhnke und Diana Gnorski. Zwei Freundinnen, beide 18 Jahre alt. Sie wollen etwas gegen Gewalt und Politikfrust bei den Jugendlichen im Osten tun. Bei den Kreis- und Kommunalwahlen am 5. Dezember in Brandenburg kandidieren sie auf der Liste der PDS. Ihren AltersgenossInnen wollen sie Gehör verschaffen, und was macht es schon, wenn sie dafür auf einer Liste kandidieren, die überwiegend aus „Rentnern und Scheintoten“, wie sie sagen, besteht? Hauptsache, der Krieg, den die Jugendlichen in dem Provinznest ausfechten, hört auf.

Angefangen hat die Konfrontation zwischen rechts und links am 11. Juni. Da eröffnete das ALC in einer Baracke in einem Angermünder Hinterhof. Die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft „Rote Oase“ nennen das buntbemalte Holzhaus „Infocafé“. Die „Rote Oase“, der auch Diana und Nadine angehören, besteht seit 1992, sie ist hervorgegangen aus den „Jungen GenossInnen, formell die Jugendorganisation der PDS. Diana und Nadine bezeichnen sich als „links, aber parteilich nicht gebunden“. Sie wollen „ein Dorn im Auge der PDS sein, eine Opposition in der Opposition“. Am Eröffnungsabend gibt es Krawall im ALC: Rechte Skinheads werfen Gaskartuschen in das Café, zwei Besucher werden von ihnen krankenhausreif geprügelt. Wolf Hugo Just, der SPD-Bürgermeister, der im Vorderhaus wohnt, beobachtet den Überfall vom Balkon aus und ruft die Polizei. Die Beamten kommen rasch, sie stellen sich in voller Kampfausrüstung vor das Café – mit dem Rücken zu den Rechtsradikalen. Sie verhindern nicht, daß hinter ihrem Rücken zwei Mädchen von Skinheads verprügelt werden. Seitdem ist der Friede in Angermünde dahin.

Die Rechten halten nahezu alle Kneipen okkupiert, auch den „Berliner Hof“, die einzige Disco am Ort. Dort kämen die Jugendlichen aus dem ALC von gegenüber zwar rein. „Aber der Besuch wäre ungesund“, sagt Nadine. „Sobald wir draußen sind, werden wir gejagt, da könnten wir uns am Samstag abend gleich ein Bett im Krankenhaus reservieren.“ Die kräftig wirkende Frau weiß, daß im Falle eines Falles auf das CS-Gas, das sie in der Handtasche mit sich trägt, wenig Verlaß ist.

Gewalt–Gegengewalt–schweigende Politiker–hilflose Eltern. Mit ihrer Kandidatur wollen die beiden Frauen den Kreislauf der Resignation durchbrechen. An den Orten, wo über Jugend politisch verhandelt wird, mitbestimmen. „Im Kreistag reden sich die Herren lieber über den Tierpark als über die Jugend die Köpfe heiß“, sagt Diana. Das soll sich ändern. Streiten wird sie, um jede Mark, die der Kreis an die Städte vergibt. „Wenn wir Jugendpolitik nicht in den Vordergrund rücken, werden immer mehr junge Leute abwandern. Dann machen demnächst im Kreis Angermünde die Mittdreißiger das Licht aus.“ Regine Hildebrandt, bislang zuständig für knackige Politikerinnensprüche, hat eine jugendliche Mitstreiterin gefunden.

Dabei hält sich Diana eher für eine zögerliche, nachdenkliche Person. Woche um Woche ist sie zu den Versammlungen der „Jungen GenossInnen“ gegangen. Schweigend hat sie dabeigesessen, wenn die anderen über Vernichtung des Regenwaldes und über den neuen Staat, die BRD, räsonierten. Zu Hause dann hat sie das Gehörte abgewogen und sich eine Meinung überlegt. Erst wenn sie sich ganz sicher ist, einen eigenen Standpunkt zu den Dingen gefunden zu haben, meldet sich Diana zu Wort. „Ich spreche spät“, sagt sie.

Angermünde ist eine liebenswürdige Kleinstadt, knapp hundert Kilometer nordöstlich von Berlin. Auch wenn die niedrigen alten Häuser ein bißchen schäbig sind, der Putz abgeblättert ist und viele der grauen Dächer neue Schindeln brauchen, Angermünde hat wenigstens noch einen intakten alten Stadtkern, mit Kirche und Stadtmauer drum herum. Nicht wie Schwedt, zwanzig Kilometer weiter an der polnischen Grenze, wo das normale Leben zwischen endlosen Betonplatten gepreßt wurde. Die Statistik zählt rund 11.000 Menschen. Die PDS ist mit knapp 22 Prozent derzeit die zweitstärkste Partei. Die SPD kam im Mai 1990 auf 35 Prozent. Zusammen mit ihren Koalitionspartnern CDU, FDP und dem Wahlbündnis Bürgerkreis belegt sie 27 von 39 Plätzen der Stadtverordnetenversammlung. Im Landkreis Angermünde kam die PDS bei der letzten Kommunalwahl 1990 auf rund 16 Prozent der Stimmen.

Dianas Oma ist auf ihrer Flucht aus Pommern im Zweiten Weltkrieg hier steckengeblieben. Oma und Mutter sind die beiden wichtigsten Figuren in Dianas Leben. Die 73jährige Oma bringt schon einmal die alten Sammeltassen ins ALC und freut sich, „wenn es ihrem Mäuschen gutgeht“. Die Mutter, Bahnbeamtin, hat ihre Tochter früh zur Selbständigkeit erzogen. Ihren Erzeuger kennt Diana nur von einem vergilbten Foto, die Mutter verließ ihn vor der Geburt. Nein, einen Vater hat sie nie vermißt. Über Politik redet sie nur mit der Mutter. Oma hat von Politik keine Ahnung. Sie spricht noch vom „deutschen Pommern“, wenn sie ihre Heimat meint. Ganz schön reaktionär. Früher schon schimpfte die Oma immerzu auf die Russen, „die aber waren meine Freunde“. Bis zu jenem Tag, vor drei Jahren, als die 15jährige erfuhr, daß russische Soldaten auf dem Weg nach Deutschland sie vergewaltigt hatten. Seitdem grübelt Diana oft über das Bild nach, das die Lehrer in leuchtenden Farben von den „Befreiern, vom Mutterland des Sozialismus“ zeichneten. Zu einem Ergebnis ist sie noch nicht gekommen.

„Ich bin ziemlich direkt und selbstbewußt“, sagt ihre Freundin Nadine. Wie sie so dasitzt, die zukünftige Stadtverordnete, mit dem aussichtsreichen 7. Listenplatz, mag man es ihr glauben. Alles an ihr ist kräftig: ihre Glieder, das dunkle Haar, ihre Stimme. Als Kind schon hat ihr die Mutter, SED-Mitglied, gezeigt, daß man die DDR für einen hervorragenden Staat halten kann, in dem man durchaus ein wenig widersprechen darf. „Ihre Kritik hat sie aber nur hinter vorgehaltener Hand formuliert.“ Der dezent am Küchentisch vorgetragene Frust bestärkt die damals pubertierende Tochter in ihrem aufkeimenden Selbstbewußtsein. Daß die PDS sie auch deswegen als Kandidatin auf die Wahlliste setzt, weil sie sich durch sie eine erkleckliche Anzahl von Jungwähler-Stimmen erhofft, stört Nadine nicht. „Ich fühle mich nicht ausgenützt.“ Schließlich finde sie das Programm der PDS durchaus akzeptabel. „Die einzige Partei, die Antirassismus, Selbstbestimmung der Frau und zumindest den Willen zu einer Jugendpolitik offen bekundet.“ Daran, wie ältere GenossInnen der PDS sie aufnehmen, messen die beiden Kandidatinnen ihre Akzeptanz in der „Normalbevölkerung“. Vorwürfe hören sie am laufenden Band. Die eigenen Genossen nennen sie „jugendliche Chaoten“. Die kennen den Unterschied nicht zwischen autonomen Linken, die ihr ALC mit CS-Gas verteidigen, und angreifenden glatzköpfigen Prügelbubis. „Aber die Genossen dürfen gerne mal unser Café bewachen, wenn die Glatzen anrücken“, sagt Diana. Und schon zieht ein gewinnendes Lächeln über die rosigen Wangen.

Einen Wahlkampf mit Plakaten und öffentlichen Reden hat die PDS für Nadine und Diana nicht vorgesehen. Die beiden machen sich auf ihre Art bekannt. Diana tingelt von Schule zu Schule und redet mit anderen Jugendlichen über deren Probleme. Nadine hat versucht, auf ihrer Arbeitsstelle, dem Finanzamt, ins Gespräch zu kommen. Aber die Kollegen interessieren sich nicht für die Kommunalwahl. Liegt das Wahldatum, der 5. Dezember, noch zu fern? „Es ist wohl eher, daß ich politisch links stehe. Da denken viele, wenn sie mit einer von der PDS-Liste reden, vermasseln sie sich die Karriere.“ Nadine kennt die Kleinbürger, die mit starrem Blick dem Bewährungsaufstieg im Amt entgegenhoffen. So engstirnig will die Steuerassistentin nie werden. „Wenn sie mich vor die Wahl stellen: Politik oder Beamtendasein, muß ich wohl meinen Beruf aufgeben.“ Noch scheinen die Prioritäten unverrückbar.

Abends suchen die beiden Frauen das Gespräch mit männlichen Politikern. Mit Handschlag begrüßen sie die Honoratioren der Stadt, die im „Biergarten“ den Feierabend einläuten. Wenn sie erst einmal als Stadtverordnete neben ihnen sitzt, will Diana 700.000 Mark aus dem Stadtetat loseisen. Mit dem Geld soll eine alte Brauerei zum Jugendzentrum umgestaltet werden. „Damit wenigstens die ganz Jungen von der Straße kommen, die jetzt frierend und saufend an der Bushaltestelle sitzen.“

Das Jugendhaus, sollte es jemals dazu kommen, müßte allen Jugendlichen von Angermünde offenstehen. Auch „die Rechten“ würden ihre eigenen Räume darin bekommen, dafür würde Diana aus „Gerechtigkeitsgefühl“ sorgen wollen. Allerdings müßten sie strenge Auflagen erfüllen. Sie dürften nur mit Sozialarbeiter hinein und bekämen auch nur zeitlich befristete Nutzungsverträge. Sollte sich aber jemand von dort auf den Weg machen und randalieren, verlöre die gesamte Gruppe das Anrecht auf den Raum.

Kollektivhaftung auch bei Aktionen von der anderen Seite? „Ja, aber die Linken haben in Angermünde noch nie als erste zugeschlagen.“ Und wenn in diesem Raum heimlich Neonazis Schulungen und „gesellige Abende“ ausrichten? Schwierig zu beurteilen, findet Diana. „Dann hoffe ich, auch darauf eine Antwort zu finden.“ Solange die Organisationen nicht verboten sind, würde sie nicht eingreifen.

Die rechte Szene von Angermünde schätzen die beiden Frauen auf etwa 80 Leute. Die meisten kennen sie von Kindesbeinen an. Als die DDR auseinanderbrach, gerieten auch die Jugendlichen im Uckermärkischen außer Rand und Band. Klassenkameraden, die sich schon immer mal gerne geprügelt haben, soffen sich die Birne dicht und grölten braune Lieder. Sie zogen auch einige Schulfreunde auf ihre Seite. Nach und nach wurden aus Freunden heftige Feinde. Wenn sie mal wieder das ALC angreifen, was jetzt regelmäßig passiert, stehen auch jene Jungs vor der Tür, mit denen Diana und Nadine die ersten Küsse tauschten. Ganz schlecht wird Diana, wenn sie daran denkt. „Und schlimm ist, daß wir nicht ein Wort mehr miteinander reden können.“ Auch sie ist stolz auf die Wiedervereinigung, „aber man kann doch nicht so stolz auf Deutschland sein, daß man dafür Leute totschlägt“.

Reden, immer wieder reden und zuhören, nur nicht passiv bleiben. Alles tun, um nicht unter das Kuratel männlicher Stiefelideologien zu kommen. Diana und Nadine sehen sich als zukünftige Vermittlerinnen zwischen offizieller Politik und außerparlamentarischer Opposition, wie sich die rappenden GenossInnen mit den buntgefärbten Haaren vom ALC bezeichnen. Ob sie sich nicht schnell zwischen den beiden Gruppen aufreiben lassen? Nein, das befürchten sie nicht. Frühzeitig haben sie vorgesorgt. Vor ihrer Kandidatur haben sie lange diskutiert. Bevor sie sich in die Liste einschreiben ließen, mußten Ines, Anja und die anderen Café-Frauen versprechen, sie nach anstrengenden Polit-Sitzungen wieder aufzubauen. Und politische Entscheidungen werden ohnehin zunächst im Frauenrat durchgesprochen, ihre Reden wollen sie dort proben. Und außerdem würden sie gerne Politik und Leben enger miteinander verzahnen. Diana hält Ausschau nach einer großen Wohnung. Die erste Frauen-WG von Angermünde, das wäre ihr Traum. „Die Zukunft“, sagt Diana, „ist ohnehin weiblich.“ Hört sich ganz selbstverständlich an.