Sanssouci
: Vorschlag

■ „Kondensmilchpanorama“

Jutta will Liebe. Und einen Mann, der sich Zeit für sie nimmt. Aber selbst im Urlaub ist das zuviel verlangt. Die Bedingungen scheinen günstig, sind aber in Wirklichkeit katastrophal. „Das Kondensmilchpanorama“ von Georg Seidel wurde im Juni 1980 in Schwerin uraufgeführt. Seidel war einst ein vielversprechender DDR-Dramatiker, seine „Carmen Kittel“ wurde häufig gespielt. Im Juni 1990 starb der Autor 44jährig an Krebs. Seidels Figuren haben im „Kondensmilchpanorama“ nichts zu lachen: Jutta näht in der Fabrik. Sie träumt sich in Mädchenphantasien zurück und umwirbt Klaus mit ihrem Lächeln, doch Klaus merkt nichts. Jutta erhofft sich etwas Erholung bei den Eltern. Klaus will so schnell wie möglich ans Schwarze Meer, wo die Verheißung vom süßen Leben am Strand wartet. Der knallgelbe Anzug von Klaus beißt sich mit den Landarbeiterkitteln der Eltern. Vattern geht melken, Muttern steht hinterm Ladentisch. Schnell verdichten sich die unterschiedlichen Interessen zu einem Generationskonflikt.

Gabriele Heinz und Eberhard Kirchberg spielen die Eltern in der Aufführung im Theater 89 einfach und erdig. Heike Jonca versucht, Jutta als lebenslustige und doch gebrochene Frau zu zeigen, was ihr in einigen Szenen gut gelingt. Thomas Pötzsch darf nur einmal aus dem eindimensionalen Raster des Widerlings Klaus ausbrechen, wenn er vom Meer und den Düften der Küste schwärmt. Manchmal gönnt die Inszenierung Hans-Joachim Franks den Figuren kurze, erhabene Momente, in denen sie von einem besseren Leben träumen und ein bißchen verspielt sein dürfen. Dann fließen unmerklich Daktylen in die Versmetren ein, begleitet von samtenen Präludien Johann Sebastian Bachs.

Die Botschaft aber schrubbt sich durch das Trauerspiel: Es gibt kein schönes Leben, Liebe ist eine Phantasie, Menschen sind Ausbeutungsobjekte, Träume nur zum Lachen. Juttas Vater, der Melker, erkennt: „Wir misten mit Schlauch und Besen, fast wie Autowaschen. Milch ist so was wie Benzin.“ Auch in der Ferne schmeckt alles wie zu Hause nach Kondensmilch.

Auf der weit in die Tiefe reichenden Bühne soll ein Stuhl als einzige Requisite für den Totentanz genügen, und so verhalten wie die Ausstattung verläuft auch der Spannungsbogen – es hilft beim Betrachten, sich auf zwei Stunden des Wartens einzulassen. Kurze Blenden teilen das „Panorama“ in kleine Szenen auf, nicht alles wäre nötig gewesen. Nachdem aus zwei Deutschlands eins wurde, wechselte die Bedeutung des damals gewagten „Panoramas“. Die Inszenierung gibt nur mäßige Hilfe zum Perspektivenwechsel. Vielleicht ist das Stück ein Relikt alter DDR-Undergroundkultur, bestimmt aber schrieben Bernhard, Jelinek und Kroetz zum Thema die besseren Dramen. Trotzdem: In Dresden gewann das Theater 89 (das vor kurzem für drei Jahre mit der Optionsförderung für Freie Gruppen bedacht worden ist) mit dem „Kondensmilchpanorama“ den Hauptpreis beim „Festival Politik im Freien Theater“. Fernando Offermann

Täglich bis zum 28.11. und am 4.12., jeweils 20.30 Uhr im Theater 89, Wilhelm-Pieck-Straße 210, Prenzlauer Berg.