„Schnell eine schlagkräftige Truppe aufstellen“

Fast unbehelligt von Polizei und Justiz hat sich in Mölln über Jahre hinweg eine rechte Szene ausgebildet / Vier Monate nach dem Mordanschlag auf die Familie Arslan flog schon wieder die nächste Brandbombe  ■ Von Bascha Mika

Mölln, 19. März 1993. Es gibt was zu feiern. Hoch die Gläser und ein Ständchen gejohlt. Jan P., Christian S. und sein Freund Wolle sind in Stimmung. Jans älterer Bruder hat Geburtstag. Noch 'n Bier und noch eins. Aus dem Gejohle wird Gegröle. Vorbei ist's mit den Geburtstagsliedern. „Stolz, stark, arisch und rein ...“ klingt doch schon besser. Noch 'n Bier. „Wir sind deutsche Nationalisten, wir sind weiß und hassen Marxisten.“ Die nächste Flasche geköpft. „Ihr schwarzen Völker im Süden, wir lassen uns nicht länger von euch betrügen, wir wollen eure Asylanten nicht, sie rauszuwerfen ist unsere Pflicht!“

Das bringt Jan und Christian auf eine Idee. Da ist doch dieses Ausländerpack, das sich hier im Asylantenwohnheim eingenistet hat. „Los! Wir gehen zu den Containern und machen Streß!“ Wolle will nicht mit, ihm ist das zu brenzlig. Christian bastelt mit Jan ein paar Mollis zurecht, dann ziehen sie los.

So hatten schon einmal – im November 1992, erst vier Monate ist das her – zwei junge Männer in Mölln Molotowcocktails gebastelt. Daraufhin verbrannten in der Kleinstadt eine türkische Frau und zwei Mädchen. Der Prozeß gegen die mutmaßlichen Täter ist noch nicht eröffnet, schon machen sich die ehemaligen Kumpel der Angeklagten mit den nächsten Brandbomen auf. Polizei und Justiz scheinen sie nicht im geringsten zu schrecken.

In den Containern leben mehr als zwanzig Menschen, viele Kinder. Sie werden nicht verletzt, es entsteht „nur“ Sachschaden. Jan und Christian werden vor Gericht gestellt. Anklage: Versuchter Mord und versuchte schwere Brandstiftung. Im September werden die beiden vor der Lübecker Jugendkammer verurteilt. Nur wegen Brandstiftung. Zwei Jahre auf Bewährung für den 15jährigen Jan P. Dreieinhalb Jahre für den 20jährigen Christian S.

Die Urteilsbegründung von Richter Wilcken klingt, als hätte er noch nie von einer rechten Szene in Mölln gehört. „Eine gefestigte rechtsradikale Überzeugung“, so der Richter, sei bei dem Angeklagten Christian S. „nicht feststellbar“. Beide Täter seien nur „Mitläufer“, die nicht recht gewußt hätten, was Brandsätze anrichten können. Von dem tödlichen Brandanschlag auf die türkische Familie im November letzten Jahres hätten die Angeklagten zwar gewußt. Aber, so der Richter, „die Folgen des Novemberanschlags sind nicht deutlich in das Bewußtsein der Angeklagten gedrungen. Diese Folgen waren zu groß für das Vorstellungsvermögen der Angeklagten.“

Die Szene

Spätestens seit dieser Urteilsbegründung können die Möllner Neonazis und Skins aufatmen. Ihr Bild vom Rechtsstaat stimmt wieder. So züchtet und fördert man Rechtsradikale.

Lange Zeit hatten die Rechten geglaubt, daß sie ihr Geschäft ohne Polizei und Justiz machen können. Zu Recht hatten sie den Eindruck, daß sich die Ermittlungsbehörden um ihre Strukturen und ihre kriminellen Energien nicht kümmern. Zu Recht durften sie annehmen, daß ihre rassistischen Angriffe nicht ernst genommen, sondern verharmlost werden.

Nach dem Attentat im November war die Stimmung kurze Zeit gegen sie. Da wurde der Rechtsstaat aktiv. Jungmann „Wolle“, eine Woche nach dem Novemberanschlag: „Daß wir Rechten jetzt so unter Druck geraten, finde ich ungerecht. Schließlich hat uns die Polizei bisher mehr oder weniger machen lassen. Und plötzlich gibt es Mordanklagen, nur weil sie in der Weltöffentlichkeit unter Druck stehen.“

Doch bereits einige Monate später, als Jan P. und Christian S. vor Gericht stehen, hatte sich der Rechtsstaat wieder beruhigt. Da hat Richter Wilcken offenbar keinen Druck mehr verspürt, Tat und Motiv eines rechten Delinquenten genauso ernst zu nehmen, wie bei anderen Übeltätern.

Denn Christian S. ist kein simpler „Mitläufer“. Das hätte auch Wilcken herausfinden können. Mit seinem Freund Wolle gehört er zu den harten Rechten von Mölln. Die beiden sind keine Skins, sondern nationalsozialistisch gesinnte deutsche Jungs. „Sie haben in unserer Gruppe,“ erzählt einer aus ihrer engeren Clique, „einen ziemlich großen Einfluß. Wenn sie losschlagen, machen wir mit.“ Natürlich hatte Christian S. eine Vorstellung davon, was es bedeutet, Brandbomben zu werfen. So eingeschränkt ist die Phantasie eines 20jährigen nicht. Außerdem hatte jeder in Mölln das völlig ausgebrannte Haus gesehen. Nichts hatte die Möllner Szene seit letztem November mehr beschäftigt, als das tödliche Attentat. Das hätte auch Richter Wilcken wissen können.

Ihre Geschichte

In Mölln gibt es seit Anfang der 80er Jahre eine rechte Szene. Zur Zeit gehören rund 60 Leute dazu. Sie decken das ganze Spektrum ab: von klassischen Skinheads (davon gibt es nur wenige), über diejenigen mit diffuser rechter Einstellung, bis hin zu Rechtsradikalen und Neonazis. Längst nicht alle sind ideologisch gefestigt. Es gibt wie üblich die Macher und die Mitmacher. Eine Steuerung von außen – meint der schleswig-holsteinische Verfassungsschutz – bestehe bei ihnen nicht. Allerdings gibt es Kontakte zur NPD und DVU.

Die Jungmänner – und etwa zehn Mädchen – sind im Alter zwischen 16 und 30. Die meisten haben Hauptschulabschluß und arbeiten, viele haben eine Lehre angefangen oder bereits beendet. Sie treffen sich in zwei bis drei Cliquen, der harte Kern besteht aus fünf bis acht Leuten. Darunter sind einige, die bereits wegen Körperverletzung, Bedrohung, Beleidigung und so weiter verurteilt sind. Um mögliche rechtsradikale Hintergründe und Motive der Straftaten, haben sich die Ermittlungsbehörden in der Regel allerdings nicht gekümmert.

Stefan J., genannt Wöbbel, war der erste Skin der Kleinstadt. Mit 16 ließ er sich eine Glatze scheren. Er versammelte eine Jungschar um sich, mit der es zu Fußballspielen und Konzerten ging. Er bezog die ersten rechtsradikalen Fanzines und Rundschreiben. Heute ist der 28jährige ein Altskin und Platzhirsch, ein vierschrötiger Typ, einschüchternd schon durch seine Masse. Doch wenn er nach seiner Gesinnung gefragt wird, scheint er der reinste Engel. Das Hitlerbild, das bei ihm an der Wand hängt, habe er von Oma geerbt – sagt er.

Die Szene hat ihre festen Treffpunkte: unter anderem die Spielhalle „Golden Play“ und die Kneipe „Foyer“. Die Polizei kennt das Umfeld. Trotzdem konnte die Bande in der Vergangenheit unbehelligt Naziparolen auf offener Straße brüllen oder sich beim Möllner Herbstmarkt Schlachten mit Linken und Ausländern liefern. Mit den jungen Türken der Stadt lagen die Rechten in ständigem Kleinkrieg. Vor allem mit Faruk Arslan, dem ältesten Sohn aus der Familie der Brandopfer, gab es öfter Handgreiflichkeiten.

Solcherart sind die „Kameraden“ von Lars Christiansen und Michael Peters – den mutmaßlichen Mördern von Mölln. Peters und Christiansen werden beschuldigt, im letzten November die Brandsätze auf das Haus der türkischen Familie Arslan geworfen zu haben. Sie müssen sich zur Zeit wegen dreifachen Mordes vor dem Oberlandesgericht in Schleswig verantworten. Das Urteil wird für den 6. Dezember erwartet.

Bis zu seiner Festnahme hatte Christiansen eine starke Beziehung zu den Rechten der Kleinstadt. Bei seinem Mitangeklagten Peters lag die enge Verbindung schon einige Zeit zurück. In seiner Umgebung seit Jahren als Rechter bekannt, hatte sich Peters vor seiner Haft im ostdeutschen Wittenburg umgetan und dort Leute rekrutiert. Er kannte aber auch Skinheads aus Schwerin, Hagenow und Boizenburg.

Die ostdeutschen Rechten beoachten das Prozeßgeschehen in Schleswig genau. In ihrem Fanzine Angriff, herausgegeben vom „Kameradschaftverbund Mitteldeutschland“, Postadresse im brandenburgischen Velten, widmen sie ihm mehrere Seiten. Das Blatt kursiert auch in Mölln. Darin fragen die „mitteldeutschen“ Kameraden: „Wie werden vom politischen System der brd Aktionen gegen patriotische Deutsche inszeniert, um damit unser Volk in Schach zu halten?“

Anwalt Christian Ströbele, Nebenklägervertreter im Prozeß, ist dem Angriff ein ganzes Dossier wert. Zitat: „Ströbele ist einer der Drahtzieher und Hintermänner der antideutschen Szene in Berlin und Deutschland überhaupt.“ Unter Ströbeles Bild prangt sein volle Adresse plus Telefonnummer. Eine deutliche Aufforderung an die Leserkameraden, ihm auf die ein oder andere Weise zu Leibe zu rücken.

Ihre Struktur

Wie gut ist die Möllner Szene organisiert? Wöbbel und andere behaupten, es habe nie Führerfiguren, keine feste Struktur und keine Vernetzung mit anderen Gruppen gegeben. Auch der Verfassungsschutz ist der Ansicht: „Eine feste Organisationsstruktur hat sich nicht herausgebildet.“ Doch vor Ort hört man anderes. Da ist von einer Telefonkette die Rede, die vor Aktionen aktiviert wird. Man habe verabredet, wer wen abholt und wo man sich trifft. Auf diese Weise habe man Fahrten in die neuen Länder organisiert, um dort bei Überfällen mitzumischen. Im Bedarfsfall sei man in der Lage, „recht schnell eine schlagkräftige Truppe aufzustellen“.

Eine solche Aktion war der Ausflug nach Rostock im letzten Herbst. Die Möllner trafen sich am Zentralen Omnibusbahnhof und fuhren mit Autos gen Norden, um die „Freunde“ in Lichtenhagen zu unterstützen. Diese waren gerade dabei, das Flüchtlingswohnheim zu stürmen. Die Rostocker sollen Depots angelegt haben, damit sich die Kumpels aus Mölln für die Randale ausrüsten konnten. Trotzdem behaupten die Möllner, daß sie sich nicht aktiv an der Schlacht beteiligt hätten.

Damit der Freundschaftsdienst nicht einseitig blieb, kamen rund zwanzig Leute aus Rostock zu der großen Demonstration in Mölln nach dem Novemberanschlag. Die Möllner sollen für sie Knüppel, Schlagringe und ähnliches Werkzeug bereitgehalten haben. Das Zeug soll auf dem Güterbahnhof unter Waggons versteckt gewesen sein.

Außer dem üblichen Handwerkszeug – Messer, Baseballschläger, Ketten – gibt es Hinweise, daß die Gruppe auch über Schußwaffen verfügt. Mehr als ein Dutzend sollen es sein, die in Hamburg besorgt wurden. Im Wald von Mölln sollen die Jungmänner Schießübungen abgehalten haben.

Die Ermittlungen

Nach dem Attentat im November, dem Höhepunkt der rassistischen Angriffe im letzten Jahr, war Mölln kein gutes Pflaster für Rechte. Sie fürchteten die Rache der Türken und verkrochen sich in ihre Wohnungen. Ein Skin wurde am Tag nach den Morden krankenhausreif geschlagen. Über die Telefonkette verabredetete die Szene, „erst mal unterzutauchen und stillzuhalten“. Einige haben Mölln sogar zeitweise verlassen.

In kleinen Grüppchen und am Telefon diskutierten die Verschreckten, wem die Tat zuzutrauen wäre. Christian S. und Wolle standen als Täter hoch im Kurs. Sie hatten erst kurze Zeit vorher in der Disco Chayenne von Türken fürchterlich Prügel bezogen. Außerdem gelten Christian S. und Wolle als brutal, haben beide wegen Körperverletzung gesessen, viele fürchten sich vor ihnen.

Auch Wolle und Christian S., die immer zusammensteckten, diskutierten das Verbrechen. Mal in der Wohnung, in der Wolle mit Mutter und Geschwistern lebt, mal bei Christian zu Hause. Öffentlich vertrat Wolle damals die Meinung: „Ich fand den Anschlag hinterhältig und feige, weil eine Frau und Kinder getötet worden sind, noch dazu Integrierte. Meistens wird es nur bei Scheinasylanten gemacht. Bei denen stört es mich nicht.“

Weiter verschreckt wurde die Szene, als sich die Bundesanwaltschaft einige Tage nach dem Verbrechen in die Untersuchung einschaltete. Jeden einzelnen aus der Gruppe der sechzig Rechten knöpfte sie sich vor. Erst da schienen auch die Ermittlungsbehörden vor Ort zu begreifen, welch Geistes Kind diese Szene wirklich war. Die Lübecker Polizei hatte zwar bereits 1991 eine Sonderkommission für die rechte Klientel eingerichet. Doch diese verbuchte die Möllner unter dem Stichwort: „Lose Cliquen“, „erschreckend niedriger Politisierungsgrad“.

Beim Durchforsten des Umfelds flogen Peters und Christiansen auf. Peters war schon wegen Angriffen auf Flüchtlingsheime in Pritzier, Gudow und Kollow aufgefallen. Da war er mit den Wittenburgern losgezogen, bewaffnet mit Mollis, Ketten, Schlagstöcken und Leuchtmunition. Bei einem der Übefälle wartete die Polizei sogar vor Ort. Doch trotz diverser Straftatbestände nahm sie keinen der Angreifer fest; ersparte sich sogar, die Personalien aufzunehmen. Für Peters beantragte die Staatsanwaltschaft zwar anschließend Haftbefehl. Das war's. Verhaftet wurde er nicht. Durch die skandalöse Schlamperei und das demonstrative Weggucken der Ermittlungsbehörden blieb er auf freiem Fuß. Offenbar scheint keine Gefahr für den Rechtsstaat zu bestehen, wenn sich in einer Stadt eine rechte Szene über Jahre hinweg ausbildet und stabilisiert. Und dann wundern sich alle, wo die rechtsradikalen Attentäter plötzlich herkommen.