Erfolg durch Kampfbereitschaft

■ Studie: 95 Prozent der Vergewaltigungen durch Gegenwehr zu verhindern     Von K. v. Appen

Die Kampfbereitschaft der Frau kann in 95 Prozent der Fälle eine Vergewaltigung oder sexuelle Nötigung verhindern. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Hannoveraner Kriminalhauptkommisarin Susanne Paul, die in der neuesten Ausgabe der Zeitschrift „Kriminalistik“ veröffentlicht ist. Die „Beauftragte für vorbeugende Kriminalitätsbekämpfung“ hatte alle Sexualdelikte, die 1991 und 1992 gemeldet worden waren, untersucht. Das Ergebnis hat selbst im Fachdezernat für Sexualdelikte beim Hamburger Landeskriminalamt (LKA 213) Überraschung ausgelöst. Leiter Günter Kröger: „Ein sehr interessantes Ergebnis. Grund für uns, auch in Hamburg einmal zu überprüfen, ob wir zu ähnlichen Zahlen kommen.“

Von den 289 untersuchten Überfällen waren 91 Prozent von Einzeltätern verübt worden. Nach der Studie leisteten 28 Prozent der Frauen keine Gegenwehr. Vier Fünftel der Männer führten daraufhin die Tat durch. Anders bei Frauen, die sich wehrten. Schon bei leichter Gegenwehr ließen 68 Prozent der Täter von ihrem Opfer ab, massive Gegenwehr verhinderte in 84 Prozent der Fälle die Tat. Susanne Paul schränkt ein: „Problematisch bei der Gegenwehr-Untersuchung ist natürlich, daß die Absichten und Motivation des Täters kaum rekonstruierbar sind. So kann in einigen Fällen nicht genau gesagt werden, ob hauptsächlich die Gegenwehr der Frau den Täter zum Abbruch der Tat veranlaßt hat oder zum Beispiel das gleichzeitig Vorbeifahren eines Fahrzeuges.“

Dennoch sind die Ergebnisse der Studie wissenschaftlich untermauert, repräsentativ und deshalb überraschend, weil die übliche Empfehlung von Kriminalisten an Frauen lautet: Lieber stillhalten als den Täter provozieren, was lebensgefährlich werden könnte. So konnte bei Vergewaltigungen oder sexuellen Nötigungen im Wohnbereich – in diesen Fällen kennt in der Regel die Frau den Täter vorher – der Mann in 87 Prozent der Fälle seine Tat durchführen, wenn die Frau keine Gegenwehr leistete. Bei leichter Gegenwehr gaben 50 Prozent der Männer ihr Vorhaben auf, bei massiver Gegenwehr ließen 72 Prozent der Männer die Frau in Ruhe.

Bei Sexualstraftaten im öffentlichen Bereich (Parks, Straßen etc.) konnten drei Viertel der überfallenen Frauen schon durch leichte Gegenwehr die Tat verhindern, bei massiver Gegenwehr konnten 96 Prozent der Männer in die Flucht geschlagen werden. Beim „Tatort Auto“ sind die Zahlen noch deutlicher: In 100 Prozent der Fälle vergewaltigte der Mann die Frau, wenn sie keine Gegenwehr leistete. Schon bei leichtem Widerstand ließen 80 Prozent der Täter von ihrem Opfer ab, bei offensiver Kampfbereitschaft kam es zu keiner einzigen Vergewaltigung. „Die oft befürchtete und schworene Eskalation der Gewalt, mit dann um so schlimmeren Folgen für das Opfer, trat nur in einem Fall der insgesamt 206 Gegenwehr-Fälle auf, und zwar bei einer Frau, die sich in ihrer eigenen Wohnnung, gegen einen ihr gut bekannten Täter zur Wehr gesetzt hatte“, so Susanne Paul.

In Hannover macht die Polizei aufgund der Untersuchung „Gegenwehr von Frauen bei Sexualdelikten“ nun Nägel mit Köpfen und bietet seit kurzem ein Sicherheitstraining für Frauen an. Susanne Paul: „Der Bedarf scheint riesig. Nach Veröffentlichung in den Medien wollten sich allein in den ersten Wochen 450 Frauen annmelden.“ Die Kurse bestehen aus einem theoretisch-psychologischen Teil sowie aus Kampfsporttraining. Susanne Paul: „Zu diesem Thema geistern erfahrungsgemäß in den Köpfen vieler Frauen und Männer Vorurteile herum, die das Gegenwehr-Verhalten der Frauen beeinflussen. So denken viele, daß Vergewaltigungen hauptsächlich durch den fremden psychisch-abartigen 'Trieb-Täter', der seinen Sexualtrieb nicht kontrollieren kann, begangen werden, und wenn frau sich wehrt, die Gewalt eskaliert.“ Tatsächlich, so auch eine Statistik des LKA 213 in Hamburg, kennen zwei Drittel der Frauen ihren Vergewaltiger. Oft ist es ein Kollege oder der Flirt aus der Disco.

Ziel der Selbstverteidigungskurse ist es daher, so Susanne Paul, den Frauen „Mut zu machen“ und der Frau das Gefühl zu vermitteln: „Ich kann mich wehren, ich bin einem Angriff nicht hilflos ausgeliefert, wie ich bisher dachte.“ Denn viele Frauen Verfallen in einer Gefahrensituation leicht in ihr anerzogenes Rollenmuster, sind befangen und haben Hemmungen, dem Mann den Schlag ins Gesicht oder den Tritt in die die Hoden zu versetzen. Paul: „Die beste Chance gegen männliche Übergriffe hat meiner Meinung nach die Frau, die selbstbewußt weiß, daß sie sich auf ihre Wahrnehmung verlassen, Gefahrensituationen ins Auge schauen und sich dann gezielt für eine ihr erfolgversprechende Reaktion entscheiden kann. Das kann in der einen Situation eine klare verbale Abgrenzung sein, in anderen vielleicht die entschlossene körperliche Gegenwehr. Dieses Selbstbewußtsein wird sie vermutlich auch im 'normalen' Leben ausstrahlen.“