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Zwischen den RillenMenschliche Swatch-Uhr

■ George Clinton for President! Das Parliament des Funk hat getagt

George Clinton besitzt eine der perfektesten Maschinen der Welt: das Mutterschiff. Seit Ende der sechziger Jahre verbindet die „Mothership Connection“ der Clinton-Bands Funkadelic und Parliament einen rituell zelebrierten Endlos- Funk mit Punk-Extravaganza — wie etwa in den Afrohaarschopf hineinrasierte Irokesenbürsten, sehr viel Leder auf der Bühne, elektrischer Krach und obszöne Textspielereien. Aber, noch wichtiger: Alle Vielheit versammelt sich unter dem einen Groove, der mehr als nur die black nation definiert. Die Idee zum P-Funk ist universell, sie bezieht alle Farben mit ein — so die Statuten seit 1968.

Als wäre schwarze Jugendkultur der weißen immer ein paar Schritte voraus gewesen, beginnt die Geschichte dieser urhordengleichen Funkgemeinschaft bereits in den 50er Jahren. Clinton, Jahrgang 1941, war damals Besitzer eines Friseurladens in Newark, New Jersey, und zog dort die Jugendlichen der Stadt mit einer Mischung aus schwarzem Jugendclub und Dancehall nahezu magisch an. Jede Woche wurden neue modische Trends kreiert, Haare geglättet und geplättet oder zu Flat-Tops gestutzt – und gesungen: DooWop, Gospel-Harmonien, Schnulzen, Zoten. Der Laden wurde den Eltern rasch suspekt, Clinton jedoch avancierte zum Jugendidol und gleichzeitig zur Vaterfigur.

Diese Vermischung hält er noch heute aufrecht, wenn er auf seiner LP neben Herbie Hancock oder Musikern von Miles Davies Rap-Acts zu Wort kommen läßt: Dr. Dre, Ice Cube und Digital Underground — sie könnten als seine Enkel durchgehen. Dies zeigt, daß der Generationskonflikt in schwarzer Popkultur keine Rolle spielt. Alle 50 an der Platte beteiligten Musiker tragen die fremdartige Wunderlichkeit dieses wandelnden, mit weißen, blauen und roten Zöpfen umkränzten Perückenständers mit Respekt: „Clinton is in the house“ heißt es in dem Song „Paint the white house black“, doch an Bill will keiner mehr glauben. Oder, wie Dr. Dre in einem eingespielten Telefonkommentar unkt: „Der Mann raucht zwar, aber er inhaliert nicht.“

Das Gegenmodell gibt sich gnostisch: als „phallic beserker of hope“ haben Clinton, Parliament und Funkedelic 25 Jahre einen Kurs festgelegt, der sich noch in der Rap-Gemeinde wiederfindet. Aus dieser Sozietät entstammten zig Projekte, die in den siebziger Jahren als partikulare Popstrategien funktionierten: Parliament und Funkadelic waren ein und dieselbe Band, doch unter verschiedenen Namen bei verschiedenen Plattenfirmen unter Vertrag. Anfang der 80er Jahre explodierte dieses System, die Gruppen verschwanden in kalkulierter Unübersichtlichkeit: Bootsy's Rubber Band, Brides of Funkenstein, Parlet oder die P-Funk All-Stars waren gleichzeitig bei Casablanca, Warner Brothers, Atlantic, CBS, Arista... schwarze Rhizome.

Heute funktioniert die afroamerikanische Multikultur nicht mehr nur aus vielen Teilungen, sondern in der Adaption aller Stile. Rock, Disco, HipHop oder Swing-Beat, Balladen, Housemusik, Pop und Reggae wurden von ähnlich chamäleonartigen Produzenten (Bill Laswell, Prince) gemischt. Insofern hat sich Clinton seine Unberechenbarkeit bewahrt. Anders als dem verrentnerten James Brown bleibt ihm ein Handlungsspielraum zwischen ironischer Brechung des eigenen Mythos — in einigen Stücken tauchen live gespielte Samples alter Funkadelic-Stücke auf – und der Botschaft jener „United Colours of Funk“, für die Clinton als menschliche Swatch- Uhr gestylt einsteht. Bewußt setzt er dann eben auch auf Kommerzialität und arrangiert das Stück „Hollywood“ so zielstrebig für die Charts wie Michael Jackson „Remember The Time“.

Doch die Texte nehmen die Assimilation genau an dem Punkt zurück, wo der Unity-Gedanke erbaulich wird: „Colours don't clash people do, colour me happy next to you“ heißt die Formel vom Widerspruch in „Paint the white house black“, so wie auf den frühen 70er-Jahre-Funkismen beharrt wird: „Say something social“ oder political, auf jeden Fall aber – sag's funky. Harald Fricke

George Clinton: „Hey Man, Smell My Finger“ (WEA).

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