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Vom Schlechtesten das Beste

■ Ein Streitgespräch über den Sinn und die Zukunft von Ausländerbeiräten mit einem deutschen Hörfunkredakteur und einem türkischen Journalisten

Treffpunkt: Admiral-Rosendahl-Straße 3a in den Frankfurter Redaktionsräumen der türkischen Tageszeitung „Hürriyet“. Zwei Journalisten, die sich sonst kaum zu gemeinsamen Terminen sehen würden, reden über ihre Haltung zu Ausländerbeiräten in Deutschland. Sie haben denselben Beruf, doch es trennen sie nicht nur kulturelle Welten. Auch politisch unterscheiden sie sich: Sie sind Bürger zweier Klassen in Deutschland – der deutsche Paß, nicht die Menschen sind noch immer der Maßstab für Bürgerrechte in dieser Republik. Welche Funktion haben da die Ausländerbeiräte heute?

Darüber streiten Marc Koch, Journalist beim Hessischen Rundfunk, und Ismail Tipi, Redakteur bei der meistverkauften türkischen Tageszeitung „Hürriyet“.

taz: Welchen Zweck erfüllen Ausländerbeiräte heute? Sind sie politisch noch von Bedeutung?

Marc Koch: Ich denke schon, daß sie wichtig sind. Einfach, damit ein Forum da ist, eine Möglichkeit, eine Plattform, auf der gearbeitet werden kann, auf der die Ausländer ihre Interessen formulieren können. Oft Dinge, von denen Deutsche sonst nie erfahren würden. Auch wir Journalisten nicht.

Ismail Tipi: Was nützt es mir, wenn ich Interessen formulieren, aber nie durchsetzen kann, weil ich zwar Mörtel und Kelle in die Hand bekommen habe, aber keine Baugenehmigung für mein Haus kriege. Ausländerbeiräte können nicht mitentscheiden. Als politische Körperschaften sollten sie längst passé sein. Sie gibt es noch, weil es das Blutsrecht im Staatsbürgerschaftsrecht, das von 1917 stammt, noch gibt. Diese Gebilde sind unzeitgemäß. Alle Welt redet vom allgemeinen Selbstbestimmungsrecht der Menschen, aber über die fortgesetzte Entmündigung der Ausländer hier verliert niemand ein Wort. Ausländerbeiräte sollen als politische Spielwiese, die keinem weh tut, besänftigende Wirkung entfalten. Darin liegt der ganze Sinn dieser Einrichtungen.

Koch: So extrem würde ich das nicht sehen. Das wirklich Schlimme ist vielmehr, daß Ausländerbeiräte da stehengeblieben sind, wo sie schon vor zehn Jahren, als die ersten Gremien dieser Art im Hessischen berufen wurden, standen. Schlimm ist, daß sie keine wirkliche Entwicklung durchgemacht haben. Daran sind sie zu einem Gutteil selbst schuld. Sie waren zu träge und zu passiv, sind kaum in die Offensive gegangen. Viele sind zu Freizeit- und Diskussionsklubs verkommen, zu Instititutionen, die oft nur nach innen polarisieren und sich selbst dabei schwächen. Bisher haben sie zu wenig Mut zur Polemik und zur Konfrontation mit den Kommunalpolitikern bewiesen. Die Polarisierung nach außen ist selten gelungen. Die Mitleidstour allein tut's in der Politik nun mal nicht.

Tipi: Aber warum schaffen sie diese Polarisierung nach außen nicht? Weil die Ausländerbeiräte als nur beratende Gremien für die Kommunalverwaltung in eine Alibifunktion gedrängt sind, die sich jedem politisch Interessierten ohne großartiges Nachdenken sofort vermittelt. Eine Demokratie auf Raten wollen die Bürger nicht, weder die Deutschen noch die Migranten. Entweder man ist demokratisch, oder man ist es nicht. Entweder haben alle dieselben Rechte oder niemand. Ausländerbeiräte nimmt niemand für voll, weil sie keine Rechte haben. Wie sollen sie da Druck ausüben oder polarisieren? Ausländerbeiräte sind vom Schlechtesten das Beste. Mehr nicht. Also sind sie unnötig und überflüssig.

Koch: Um zu hinterfragen, warum Ausländerbeiräte nicht so funktionieren, wie sie sollten, spielt auch ihre Öffentlichkeitsarbeit eine große Rolle. Die ist oft genug schlicht unterentwickelt bis gar nicht vorhanden. Jede Partei, jede Organisation im politischen Leben versucht die Medien für ihr Anliegen zu interessieren. Ohne öffentlichen Druck keine öffentliche Aufmerksamkeit. Diese einfache Weisheit scheint den Beiräten fremd zu sein. Manchmal genügt es, eine Erklärung an die Presse stilistisch aufzupeppen. Wenn ich immer die gleichen triefenden Formulierungen sehe, schmeiße ich solche Post sofort in den Papierkorb. Außerdem passiert in diesen Runden zuwenig „Arbeit am Bürger“. In welcher Gemeinde wissen die Leute zum Beispiel, wo der Ausländerbeirat überhaupt seinen Sitz hat und wie er arbeitet?

Ausländerbeiräte muß es mindestens solange geben, solange das kommunale Wahlrecht für alle nicht durchgesetzt ist, aber sie müssen sich stärker profilieren und exponieren. Wir wissen, daß sie nicht das Gelbe vom ausländerpolitischen Ei sind. Deswegen zu sagen, das bißchen, das wir haben, kann weg, halte ich für einen Schritt in die rückwärtige Richtung.

Ausländerbeiräte sind geschaffen worden, um den Einwanderern eine politische Stimme zu geben. Daß sie viel zu wenig Gehör finden, weil sie mit keinerlei Macht erfüllt sind, erzeugt Frust und Desinteresse seitens der Ausländer diesen Institutionen gegenüber. Die macht sich am stärksten in der geringen Wahlbeteiligung bei Ausländerbeiratswahlen bemerkbar. Aber schwingt nicht psychologisch noch sehr viel Negatives mit bei diesen Gremien?

Tipi: Die Psychologie, die hinter dem Konzept der Ausländerbeiräte steckt, ist einfach. Sie ist zugleich ein wunderbar funktionierendes Kalkül deutscher Politik. Die Migranten sollen in diesem Gremium unter sich bleiben und nicht stören. Dem gesellschaftlichen Ghetto wurde ein politisches hinzugestellt. Man soll dort agieren, aber doch nicht weiterkommen. Man soll dort das Gefühl haben, man ist beteiligt, und soll doch ausgeschlossen bleiben.

In der Hessischen Gemeindeordnung (HGO) steht jetzt zum Beispiel – und das wird sogar als großer Erfolg verkauft –, Ausländerbeiräte müssen von den Stadtparlamenten gehört werden, in Fragen, „die die Ausländer betreffen“. Was das ist, entscheiden die deutschen Kommunalräte allein. Jedes lokale Thema ist ein Thema, das die Ausländer genauso bewegt. Ausländerbeiräte sind dazu da, von den fehlenden Bürgerrechten für Nichtdeutsche abzulenken und die Demokratie in Deutschland als nicht allzu ungnädig erscheinen zu lassen. Voilá.

Koch: Wichtig ist doch, daß sie in Hessen zumindest den Fuß in der Parlamentstür drin haben. Ich komme wieder darauf zurück, was ich vorhin sagte: Über die Öffentlichkeit kann Druck gemacht werden. Wenn die Stadtverordneten meinen, einen Anhörungsantrag des Beirates ablehnen zu müssen, dann kann man über diesen Weg sagen, diese oder jene Frage ist sehr wohl ein ausländerrelevantes Problem.

Tipi: Das ist es, worauf ich hinaus wollte. Mit der Beschränkung auf „Ausländerfragen“ ist eine Ausgrenzung bewußt unterstrichen worden. Nochmal: Alle Probleme, die Deutsche angehen in einer Stadt, gehen auch Ausländer an, weil es um allgemein menschliche Konflikte und Forderungen geht.

Wäre es denn ein richtigerer Weg, sich mehr bei den Parteien zu engagieren, statt einen Sitz im Ausländerbeirat anzustreben?

Tipi: Ja, ganz sicher ist das so. Es gibt viele Beispiele von Ausländern, die sich erfolgreich in deutschen Parteien engagieren. Wären viel mehr Ausländer, statt in die Ausländerbeiräte zu gehen, Mitglieder von Parteien, dann käme den Parteigremien irgendwann von selbst der Gedanke, daß sie eine wichtige Gruppe sind, die man oder frau mit der Unterstützung ihnen am Herzen liegender Forderungen bei der Stange halten sollte. Dann würde es um die Doppelte Staatsbürgerschaft beispielsweise nicht soviel Aufhebens geben wie jetzt.

Auch eine CDU könnte sich bei einem größeren Zulauf von Ausländern nicht so leicht von nationalistischen Gedanken und Kandidaten à la Heitmann verführen lassen, weil sie um ihren finanziellen Bestand fürchten müßte. Ich glaube tatsächlich, daß ein Ozan Ceyhun bei den Grünen und ein Hakki Kesikn bei der SPD oder ein Yilmaz Karahasan im Vorstand der IG Metall langfristig mehr erreichen können, als alle Beiräte auf einmal. Diese Leute, die die bornierten deutschen Strukturen von innen aufweichen helfen, genießen wirklich das Vertrauen der Ausländer.

Koch: Die Gefahr der Ghettoisierung, die Sie, Herr Tipi, beschrieben haben, sehe ich auch. Sie ist trotzdem in Wahrheit nur die eine Seite der Medaille der Ausländerbeiräte. Die andere heißt: Vermittlung eines Solidaritätsgefühls unter den Ausländern. Daß Ausländerbeiräte aus ihrem trägen Teufelskreis der Machtlosigkeit nicht herauskommen, liegt ganz entscheidend an den Menschen, die in diesen Beiräten arbeiten, die keine Ahnung haben, wie Politik abläuft, und oft genug glauben, in ihnen die richtige Bühne gefunden zu haben, die eigenen Vereinsinteressen besser an den Mann bringen zu können. Siehe die islamischen Gruppierungen und die Lehrerlisten. Moderation: Franco Foraci

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