Blonde Legende zerstört

■ "Shiva und die Galgenblume", am Samstag um 22.20 Uhr beim Kulturkanal arte

Draußen stürmt und regnet es in Agfa-Color. Die Haushälterin tritt an das Fenster, das aufgeflogen ist. Schnitt. Da fällt von oben ein Bombenteppich in schwarz-weiß. Es klopft an der Tür. Der Kommissar ruft: „Herein!“ Schnitt. Ein Panzer rattert wie gerufen durchs Bild.

Nein, dies ist kein einfacher Ufa-Unterhaltungsschinken, der als Wiederholung der Wiederholung nun auch im Kulturkanal arte gelandet ist. „Shiva und die Galgenblume – Der letzte Film des Dritten Reiches“ ist Rekonstruktion, Dokumentation und Fiktion zugleich.

Fast fünfzig Jahre nach Kriegsende entdecken die Kölner Filmemacher Michaela Krützen und Hans Georg Andres bei Recherchen im Staatlichen Filmarchiv der DDR dreizehn Rollen ungeschnittenen Ufa-Film und acht Rollen Ton. Es ist das fragmentarische Material des Nazi-Streifens „Shiva und die Galgenblume“, eines Krimis um Kunstraub, Geldfälschung und die angebliche Stimme „deutschen“ und „russischen“ Blutes. In den Hauptrollen des 1944/45 in Prag gedrehten Films: Hans Albers, Grethe Weiser, Elisabeth Flickenschildt und O.W. Fischer; Regie: Hans Steinhoff. Albers spielt den deutschen Kommissar Dongen, genannt Shiva, der einen „besessenen“ russischen Geldfälscher an den Galgen bringt.

Die Filmemacher Krützen und Andres schneiden das Material, das von den Sowjets bei der Befreiung Prags beschlagnahmt wurde und über Umwege in die DDR gelangte. Sie montieren Szenen aus Wochenschauen und Propagandafilmen hinein, fügen Interviews mit früheren Ufa-Schauspielern und Mitgliedern des tschechischen Filmstabs an. Schließlich werden einzelne Szenen neu synchronisiert und der Schluß des Films neu gedreht. So entsteht parallel zur Wiederauferstehung des „blonden Hans“ eine eindrucksvolle Geschichte des Kriegs-Drehs und der deutschen Besatzung in der Tschechoslowakei.

Prag 1945: Während die Rote Armee auf Berlin marschiert, ist die „Goldene Stadt“ das Zentrum der deutschen Filmproduktion: Die Ufa-Prominenz hat sich unter Vorlage ärztlicher Atteste schon seit 1940 geweigert, weiter in der Reichshauptstadt zu arbeiten. In der „Goldenen Stadt“ und ihren Grandhotels fühlen sich die Goebbels-Schauspieler sicher.

An ein „irdisches Paradies wie im tiefsten Frieden“ erinnert sich in den Interviews Margot Hielscher. Wie ihre Kollegin Mady Rahl schwärmt sie noch heute von Prags luxuriösen Modeläden und Restaurants, von Pralinen und Filet mitten im Krieg. Hielscher und Rahl wollten nichts merken, während sie mit ihren starken Reichsmärkern im Verhältnis 1:10 billig einkauften und die „professionelle Atmosphäre“ in den Studios genossen. „Als Besatzerin habe ich mich nie gefühlt“, sagt Mady Rahl. „Ein Atelier ist ein Atelier, und wenn gedreht wird, wird überall gleich gedreht.“ Dann schwätzt die alte Dame noch etwas von „höflichen slawischen Völkern“ und „bildschönen Tschechen“.

Die Tschechen, die den technischen Stab stellten, erinnern sich ganz anders: „Die Deutschen fraßen wie Wilde“, meint der 2. Aufnahmeleiter. Seine Kollegen schildern die Germanisierung der tschechischen Wirtschaft, die Enteignung der Juden, die ständige Angst vor Verhaftungen: „In jeder Familie hat jemand gefehlt.“ Die Studioarbeiter waren gezwungen, an „Shiva und die Galgenblume“ mitzuwirken, um dem drohenden Arbeitseinsatz in Rüstungsfabriken zu entgehen. Während ein tschechischer Nebendarsteller mit einem „Probenhonorar“ abgespeist wurde, bekam der Star Hans Albers für „Shiva und die Galgenblume“ 150.000 Reichsmark – exklusive Spesen.

Im April 1945 eskaliert der Konflikt zwischen den Besatzungstruppen und der Prager Bevölkerung, der Aufstand beginnt. Regisseur Hans Steinhoff, ein überzeugter Nationalsozialist, verläßt fluchtartig den Drehort. Auch die Schauspieler fliehen, der Film wird abgebrochen.

1993 drehen Krützen und Andres die Schlußszene in den Prager Barrandov-Studios nach, mit Manfred Zapatka und Hans-Michael Rehberg in den Hauptrollen. Am Ende ihres Films ist auch die immer wieder gern geglaubte Legende von Hans Albers als zivilem „deutschen Clark Gable“ zerstört, der angeblich Abstand zum Regime hielt. Albers hatte sich von seiner jüdischen Ehefrau Hansi Burg scheiden lassen, um unter den besonderen Schutz von Goebbels zu kommen. Trefflich belegt ein im Film zitierter Spruch von Albers dessen Selbstherrlichkeit und Selbstgefälligkeit: „Wenn ich Parteigenosse wäre, dann nur die Nummer eins. Aber das ist ja schon Adolf Hitler.“ Hans-Hermann Kotte

Der Film ist im Frühjahr 1994 auch im ZDF zu sehen.