Schwingbeil kontra Klingbeil

■ In echter public-private-partnership-Manier stellten Kulturschaffende aus bedrohten Projekten, wie dem Tacheles im Bezirk Mitte, ihre Investorenabsichten vor und sieben Bauschilder

„Wir holen uns kalte Ohren für unsere Investoren“ schallte es in der Dämmerung des Freitag abend aus den vier Lautsprechertüten eines Propagandalastwagens. Hinter den Megaphonen hingen vier leicht angeschrägte, mit roter Farbe beschmierte Fleischerhackbeile. Der Oberkörper des Redners ragte aus der Luke im Dach des Führerhäuschens. Die Plastikimitation einer kaiserlichen Pickelhaube auf seinem Kopf schützte freilich nicht vor den unfreundlichen Temperaturen.

Hinter dem Lautsprecherfahrzeug komplettierte ein offener Lastwagen mit angehangener Gulaschkanone den Konvoi. Auf der Pritsche spielte eine Blechblaskapelle der Pickelhaube entsprechende Melodien. Und wenn dem Redner eine Artikulationspirouette besonders gut gelang, folgte der obligatorische Tusch.

Passanten hielten die zwanzig Gestalten offensichtlich für eine Demonstration. „Was wird hier eigentlich gefeiert?“ fragte ein älterer Mann mit roter Nase und einem Tannenzweig unter dem Arm. Gefeiert wurde die Vorstellung der Bauprojekte von „Schwingbeil Kulturdevelopment“ in Berlin- Mitte. Mit der Enthüllung von Bauschildern an sieben Objekten reihen sie sich in die „Hier entsteht...„-Taktik der finanzkräftigen Investoren ein.

Am Tacheles in der Oranienburger Straße, das von Investorenplänen bedroht ist, hängt nun über dem Eingang ein Bauschild: „Hier entsteht die Passage Mortale.“ Jochen Sandig, der Leiter des Schwingbeil-Projekts im Tacheles, erklärt den Stand der Planungen: „Unten im Parterre kommt McTacheles rein.“ Nachdem Kulturschaffende aus 42 Ländern hier ihr Unwesen trieben, sollen dann Gerichte aus 42 Ländern serviert werden. In den zähen Verhandlungen sei den Künstlern vom Investor versichert worden, daß das große Areal hinter dem Tacheles den Wünschen der Beteiligten entsprechend nicht bebaut werde. „Der Platz bleibt ein Platz, wenn auch ein Parkplatz – immerhin wenigstens ein wenig Park“, führt Sandig mit bitterer Ironie aus.

Erstaunt nehmen Passanten wahr, daß in der ehemals besetzten Tucholskystraße 30/32 ein „Touristen-Busbahnhof mit Integrierter Radsporthalle“ entstehen soll. „Neue Arbeitsplätze für die Bewohner“ seien dadurch gesichert, sagte Thomas Röhlinger, Leiter des Tucholskystraßen-Projekts: „als Schienenputzer“. Für das Scheunenviertel sei der geplante Busbahnhof eine essentielle Bereicherung. Zumal die vielen „Stadtbeglotzung-Tours“ Gelegenheit finden, ihre Vehikel gleich am Nabel der Stadt abzuparken.

Spaß beiseite: „Die Fundus- Gruppe – Leistungen für Immobilienwerte“ stellte am selben Tag auf der Jahrestagung des „Arbeitskreises Baufachpresse“ ihre milliardenschweren Bauvorhaben und ihr Prestigeprojekt in Berlin vor: „Unser schönstes Projekt sind natürlich die Friedrichstadt Passagen“. Die Investorengruppe beklagt, daß nicht genug Standorte für Luxusmieter in Berlin angeboten werden. Standortfaktoren für exklusives Shopping seien die „unmittelbare Nähe zu Kunst und Kultur und zu Luxushotels“.

Derweil enthüllt Schwingbeil Kulturdevelopment das Projekt Auguststraße 10. „Hier entsteht eine Fotomontage mit Einraumreaktor.“ Wie der Zufall es will, sicherten sich die Bewohner gerade heute einen Pachtvertrag über 15 Jahre mit dem neuen Besitzer. In anderthalb Jahren beginnen die Bauarbeiten. Das neue Selbsthilfeprojekt sichert den Mietern bezahlbaren Wohnraum für den vereinbarten Zeitraum. Die Bauüberwachung werden dann auch „Bruni und Gisela von Gegenüber, Parterre links“ übernehmen – wie es auf dem Bauschild geschrieben steht. Während Nils Düncke das Schwingbeilprojekt den frierenden Beobachtern erläuterte, öffnete sich gegenüber das Fenster im Parterre, und die allwissende „Kissen- auf-dem-Fensterbrett-Oma“ begutachtete wohlwollend das unübliche Treiben auf der Straße. Nils unterbricht die „Autos raus“- Sprechchöre und ruft: „Hallo, Bruni.“ Sven Christian