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Pfarrer angezeigt

■ Wegen polizeilicher Anmeldung eines Obdachlosen erstattet das Landeseinwohneramt Anzeige gegen eien Pfarrer

Das Verfahren ist langjährig erprobt und bei den Behörden bekannt: Pfarrer melden Obdachlose in ihren Kirchengemeinden an, um ihnen den Gang zu Sozial- und Arbeitsämtern zu erleichtern. Zum ersten Mal wurde jetzt vom Landeseinwohneramt Anzeige erstattet. Das Amt wirft dem Pfarrer der Kreuzberger Kirchengemeinde Zum Heiligen Kreuz, Joachim Ritzkowsky, „Zuwiderhandlung gegen das Meldegesetz“ vor. Er hatte im Juni dem Obdachlosen Manfred Lehmann einen Wohnsitz in seiner Gemeinde bescheinigt und ihm so zu einem Personalausweis verholfen.

Für Sozialhilfezahlungen und Unterbringung war damit das Sozialamt Kreuzberg zuständig. Lehmanns Leben wurde wesentlich erleichtert. Früher verbrachte er seine Nächte auf verschiedenen beheizten Toiletten im Umkreis der Kirchengemeinde. Mehrmals war der 49jährige Mann dabei überfallen worden. Einen Krankenschein für die ärztliche Behandlung seiner Wunden hatte er allerdings nicht, berichtet Ritzkowsky, der ihn seit drei Jahren betreut. Auch das änderte sich mit der polizeilichen Anmeldung. Jetzt stellt das Sozialamt bei Bedarf einen Schein zur medizinischen Versorgung aus.

Natürlich habe er mit der Meldung Lehmanns und anderer Nichtseßhafter eine Ordnungswidrigkeit begangen, räumt Ritzkowsky ein. Für die Behörden sei es eine „Scheinanmeldung“, weil die Obdachlosen nicht tatsächlich im Gemeindehaus wohnen. „Das Gewissen folgt aber nicht immer dem Gesetz“, betont er. Die Bestätigung eines Wohnsitzes in „ihrem Kiez“ ermöglicht Obdachlosen eine festere Bindung an ihr Umfeld. Auch sie brauchen ihre Bekanntschaften und die „seelische Beziehung“ zu einem Ort. Rein rechtlich gesehen ist es zwar auch ohne Wohnadresse möglich, einen Ausweis, Sozialhilfe, Arbeitslosengeld und Krankenscheine zu bekommen. Unklar ist dann nur, welches Sozialamt zuständig ist.

Das Landeseinwohneramt, das den Obdachlosen Lehmann jetzt wieder abmeldete, handele töricht, sagt der Pfarrer. Durch eine polizeiliche Meldung seien die Wohnungslosen für Ämter und Behörden schließlich wieder erreichbar. Gegen die Strafanzeige habe er bereits protestiert und außerdem die berlin-brandenburgische Kirchenleitung um Unterstützung gebeten. Die Reaktion sei jedoch „sehr zögerlich“ ausgefallen, kritisiert er. Trotzdem läßt sich Ritzkowsky nicht entmutigen. Er werde auch weiterhin Obdachlose in seiner Gemeinde anmelden, sagt er mit Nachdruck.

Dem Pfarrer droht jetzt möglicherweise ein Bußgeld. Für seinen Schützling Lehmann wird sich mit der Abmeldung seines Wohnsitzes zwar zunächst nichts ändern, denn er besitzt jetzt einen gültigen Paß. Doch wenn ihm der Ausweis beim Übernachten im Freien gestohlen wird, kann er keinen neuen beantragen. Auf Unterkunft, Krankenschein und Sozialhilfe wird er dann wieder verzichten müssen. Gesine Wolfinger (epd)

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