Trotz freier Betten schlafen viele im Freien

■ Die Winterquartiere für Wohnungslose sind noch nicht ausgelastet / Koordinationsprobleme bei der Verteilung

Dem jungen Mann mit den schwarzen Locken steht die Resignation schon ins Gesicht geschrieben. „Kann ich hier schlafen?“ fragt er, während er sich die blaugefrorenen Hände reibt. „Tut mir leid, wir sind voll“, antwortet der Betreuer in der Notübernachtung der Gemeinde Sankt Michael. „Versuch es doch bei Liebfrauen, wir können auch mal rumtelefonieren.“ Doch der junge Mann dreht sich nur wortlos um und stapft durch den Schnee Richtung Straße. Jeden Abend müssen die Mitarbeiter zwei bis drei Menschen zurück in die Kälte schicken. Jeden Abend rufen andere Notübernachtungseinrichtungen an, um nach freien Plätzen zu fragen. Doch der Jugendkeller, den die Gemeinde seit November für 13 Wohnungslose zur Verfügung stellt, ist längst voll. „Die Vorstellung, daß jetzt Leute draußen schlafen müssen, macht mich ganz krank“, sagt ein Mitarbeiter.

„Das ist offenbar ein Koordinationsproblem“, sagt dagegen Rita Hermanns, Sprecherin der Sozialverwaltung. Denn die 230 Betten, die die Winterhilfe des Senats bereithält, sind nach ihren Informationen noch nicht alle belegt. Es könnten auch noch mehr Plätze zur Verfügung gestellt werden, aber dafür müssen die anderen erst einmal ausgelastet sein. 1,14 Millionen Mark sind für die diesjährige Winterhilfe vorgesehen. 1994 sind 1,3 Millionen für Unterbringung und Verpflegung, meist in Gemeindehäusern, veranschlagt.

In der vergangenen Woche hat zudem der Hauptausschuß des Abgeordnetenhauses beschlossen, fünf Millionen Mark zusätzlich für die Bekämpfung der Obdachlosigkeit zu bewilligen. „Wir hatten das gar nicht beantragt“, so Hermanns. In Windeseile erarbeitete die Verwaltung ein Konzept, das vorsieht, eine zweite zentrale Notübernachtungsstelle sowie weitere kleinere Winterhilfsprojekte einzurichten. „Wir überlegen, einige dieser Projekte ganzjährig zu öffnen“, so Hermanns. Auch Bahnhofsdienste, Straßensozialarbeit und Schuldnerdienste sollen verstärkt werden.

Eigentlich sind die Bezirke für die Unterbringung Wohnungsloser zuständig. Obwohl die Nachfrage seit dem Kälteeinbruch kaum gestiegen ist, wird auch hier nach neuen Übernachtungsmöglichkeiten gesucht. Der Bezirk Tiergarten eröffnet zum 1. Dezember ein Nachtasyl mit 30 Plätzen in einer Turnhalle. Detlef Schmidt (CDU), Sozialstadtrat von Tempelhof, will Containerdörfer, die ursprünglich für Asylbewerber eingerichtet wurden, für Kriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien nutzen, um die Pensionen zu entlasten. Seine Kreuzberger Kollegin Ingeborg Junge- Reyer (SPD) muß derzeit 1.700 Wohnungslose und 1.200 Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien mit Schlafplätzen versorgen. „Wir suchen das ganze Jahr über händeringend nach Unterbringungsmöglichkeiten in Pensionen, Hotels oder landeseigenen Häusern“, sagt Junge-Reyer. Meist kosten diese Unterbringungen, in denen bis zu sechs Menschen in einem Zimmer nächtigen müssen, um die 30 Mark, manchmal aber auch 90 oder gar 150 Mark.

Trotz aller Bemühungen aber findet nicht jeder Wohnungslose zu dem ersehnten warmen Bett. Es mangelt nicht nur an einer Koordinationsstelle, die die freien Plätze vermitteln könnte. Eine solche „Bettenbörse“ fordert die Beratungsstelle für Wohnungslose in der Levetzowstraße schon lange. „Das Problem ist vielschichtiger“, weiß Sozialarbeiter Jürgen Bustert. Frauen und Ausländer hätten kaum eine Chance, in einer Pension oder einem Wohnprojekt unterzukommen. Auch seien die Angebote für die Betroffenen oft schwer zu erreichen. Die bezirkseigene Einrichtung am Charlottenburger Friedrich-Olbricht-Damm etwa hat zur Zeit noch über 20 freie Plätze. Doch ohne Fahrschein und gute Ortskenntnis ist der Weg dorthin für viele zu weit. „Ich habe da schon mehrfach Leute hingeschickt, von denen ist keiner angekommen.“ Corinna Raupach

Siehe auch Seiten 22 und 28