Amoklauf der Dribbelkünstler

■ Skandalverein Hertha BSC hat sich mit überdimensioniertem Finanzetat ans Tabellenende der zweiten Fußball-Bundesliga und ins Schuldloch gespielt

Uwe Reinders versteht die Welt nicht mehr. „Manchmal komme ich mit vor wie der Hauptdarsteller von ,Pleiten, Pech und Pannen‘ oder ,Verstehen Sie Spaß?‘“ grummelt der 38jährige. Zum Lachen ist dem sympathischen Malocher-Typen aus dem Ruhrpott schon lange nicht mehr zumute. Denn Reinders, ein früherer Nationalspieler, wurde vor wenigen Wochen als Fußballtrainer geholt, um den Zweitligist wieder flottzumachen.

Sein Amtsvorgänger, der dickköpfige Günther Sebert, hatte – trotz teurer neuer Spieler – das Berliner Fußball-Flaggschiff auf Grund gesetzt: Statt von Anfang an auf Titelkurs zu steuern, wie der Auftrag lautete, dümpelte Seberts Hertha im seichten Mittelfeld. Mit Reinders sollte alles besser werden – aber es wurde nur noch schlimmer! Statt des triumphalen Aufstiegs in die bundesdeutsche Kicker-Elite droht nun der desaströse Rücksturz ins anonyme Amateurlager. Nur Ortsrivale Tennis Borussia steht noch hinter den Reinders-Schützlingen am Tabellenende der Zweiten Liga. Aber auch im Hertha-Präsidium wird eifrig gerechnet. Wie auch in den Jahren zuvor, als der Wunsch Vater des Kalkulierens war, platzt der Etat für die laufende Saison schon jetzt aus allen Nähten. 10,5 Millionen Mark hatte Herthas Schatzmeister Heinz Striek für die Spielzeit 93/94 veranschlagt: ein einsamer Rekord für Zweitligaverhältnisse! Pro Heimspiel, phantasierte der ehemalige SPD-Finanzsenator (!), sollten rund 10.000 Zuschauer ihren Obolus an den Kassen der olympischen Arena entrichten: eine preußische Fata Morgana. Ein Beispiel: Am letzten Sonntag wollten schlappe 3.000 Augenpaare ihre Hertha im Match gegen den Tabellenvierten (!) Bayer Uerdingen siegen sehen.

So kam es auf der Mitgliederversammlung am Montag zum erwarteten Aufstand des Fußvolks. „Amokläufer“ war noch die mildeste Titulierung, die sich Hertha- Präsident Heinz Roloff ans Revers heften lassen mußte. Sechs Millionen an Verbindlichkeiten haben sich unter der Ägide des Baulöwen seit 1985 angehäuft, polterten die enttäuschten Massen, die nun lautstark einen neuen Steuermann fordern. Damit tun sie Roloff jedoch unrecht. Denn wieviel Gelder er aus eigener Tasche in den maroden Club seitdem investierte, um ihn vor dem sicheren Aus zu bewahren, bleibt wohl sein Geheimnis. Insider schätzen die Summe immerhin auf zehn Millionen Mark. Wen wundert's da, daß vor zwei Jahren sogar das Gerücht kursierte, der fast 80jährige Unternehmer solle von seiner Familie wegen des allzu kostspieligen Hobbys Hertha BSC entmündigt werden?

Die Daumen bei Hertha BSC zeigen sportlich wie wirtschaftlich nach unten. Der traditionsreiche Club, „diese kleinkriminelle Vereinigung“ (Ex-Tornado Günther Thews), scheint auf keinen grünen Zweig mehr zu kommen. Wohl der Not gehorchend, wollte vor zwei Wochen BSC-Präsidiumsmitglied Erich Herz für ein größeres Zuschaueraufkommen nach Neu- Westend. Anläßlich der Heimpartie gegen Wuppertal hob Herz kurzerhand das Stadionverbot für rund 40 Hertha-Hooligans auf. Ohne Rücksprache mit dem vereinseigenen Sicherheitsbeauftragten Andreas Kramell, der zufällig aus einem Fan-Magazin von dieser eigenmächtigen „Herz-Attacke“ erfuhr. „Ich lehne eine solche Generalamnestie entschieden ab“, so Kramell. Von der Begnadigung würden vor allem die „schweren Jungs“ unter den Hertha-Fröschen profitieren. „Falls das Präsidium für eine Amnestie ist“, betont Kramell, „kann ich für die Sicherheit im Stadion nicht garantieren.“

Wenigstens eine Erkenntnis scheint sich bei den Verantwortlichen durchgesetzt zu haben. Das Winterquartier in Oman, wohin zuletzt die Nobelmannschaft von Bayern München vor der europäischen Kälte flüchtete, wurde abgeblasen. „Es wird unserem Tabellenstand nicht gerecht, auf den Spuren der Bayern zu wandeln“, gibt sich Herthas Manager Wolfgang Levin erfrischend realistisch. Jürgen Schulz