Rostocker Kunstfisch

■ Ein Fischtrawler wird zum ersten deutschen Medienschiff

Greenpeace hat sie, Ärzte benutzen sie, Cousteau besaß sie: die Schiffe, die auf Weltmeeren schippern, um einem weltweiten Fernsehpublikum Dünnsäure-Verklappung, Boat people und den letzten weißen Hai vorzuführen. Auf solchen Schiffen begann auch die Karriere von MTV als „Privatsender“ – eine Satellitenschüssel war sein wichtigstes Instrument.

Heute fahren Containerschiffe unter Satellit mit kaum mehr als zwei Mann Besatzung. Schiffe, die trägsten aller Transportmittel, sind navigationstechnisch von dem schnellsten aller Kommunikationsmittel abhängig: von dem digitalen Datenaustausch noch in die entlegensten Gebiete. Per Handiphone (in Art des D-Netzes) soll es schon 1996 möglich sein, mittels des weltweiten Satellitennetzes zwischen Süd- und Nordpol zu telefonieren.

Ein schwimmendes Media-Lab – noch ohne Satellitenschüssel – soll jetzt der 80 Meter lange Fischtrawler „MS Stubnitz“ aus der aufgelösten Ostseeflotte werden. Abreisefertig liegt das riesige Stahlboot im Rostocker Hafen. Ein mobiles Schiff mit Original-ABM-Besetzung, offen für 36 Gastkünstler, -wissenschaftler und besonders offen für Sponsoren. Die deutschen, schweizerischen und österreichischen Reeder organisierten während der Umbauzeit auf dem 30 Jahre alten, überholten Hochseetrawler Performances, Ausstellungen und New-Media-Spektakel.

Ungewöhnlich sind die Vorteile dieser Art von Media-Lab-Produktionsstätten. Statt die Pioniere der Neuen Medien im ganzjährigen Symposien- und Festivalzirkus durch die Welt zu fliegen, arbeiten sie gemeinsam und bewegen sich als Event von Hafen zu Hafen. Die ehemaligen Fischbunker sind geräumig genug, um abwechselnd Parties zu feiern, Kongresse zu veranstalten und Satellitenequipment für ein weltweites Art-&-Science- Networking zu befördern. Erste Initiativen an Bord sind ein CAD- gestütztes Architekturprojekt zum Hafenbau und eine Zusammenarbeit mit dem ostdeutschen Medien-Networking, das seine Modem- und Internet-Kenntnisse nach Osteuropa verbreiten will.

Im August 1994 wird die „MS Stubnitz“ zur Computerkunstmesse ISEA in Helsinki vor Land gehen. Der Fischtrawler, der einst vor Falkland und Mosambik fischte, hat heute das Zeug dazu, ein Entwicklungshilfeschiff in Sachen Kommunikation zu werden. Die Computer-Spezialisten an Bord, die Video-, Sound- und Design-Systeme entwickeln, betreiben und befördern, sehen sich vorerst vor allem in der baltischen Region, dem Schwarzen Meer, in Marseille und Lissabon unterwegs: zu neuen Ufern mit schwimmenden Künstlern und digitaler Kommunikation. Arnd Wesemann