Zwischen den Rillen
: Girls! Girls! Girls!

■ „Fuck and run“: Scharfe Formulierung unscharfer Gefühle bei Liz Phair

„Liz Phair is a total diva“ lautet der erste Satz der Plattenkritik zu „Exile in Guyville“ im US-Teeny-Magazin Sassy. Exil im Jungensdorf: Liz Phair kommt aus Chicago und läßt sich für das Cover ihrer Debüt- Platte exzentrisch-lasziv gestylt, mit halb geöffnetem Mund von Urge Overkills Nate Kato fotografieren. Brad Wood, der mit seiner ebenfalls aus Chicago stammenden Band Shrimp Boat neben Souled American den kühnsten Beweis geliefert hat, daß leise countryeske Songs extreme Musik sein können, hat mit ihr zusammen das Debütalbum produziert.

Da ist also eine Jungmänner- Undergroundrock-Szene versammelt, die um keinen Hipness-Code verlegen ist und in Phair ihre Vorzeigeausnahme hat: das erste Girl in Chicago, daß die Neo-Beatnik-Attitude voll durchzieht und gute Songs draus macht. Nenn es Post-Feminismus, nenn es wie auch immer: Die einzeln auftretende, intellektuell abgeklärte Frau behauptet sich individualstrategisch in Männerdomänen und distanziert sich erst einmal damit von Frauen, die das nicht tun oder „schaffen“. So sieht das meist gegenüber der „Frauenband“ favorisierte Role Model für Frauen im „Alternativen Underground“ aus – nicht zuletzt auch deshalb zieht die Gruppe der Underground-Musikerinnen, die sich unter dem Label „Rrrrt Grrrls“ (Riot Girls) findet, das Bandmodell vor.

Phair legt eine Coolness in der textlichen Bearbeitung (hetero-)sexueller Verstrickungen an den Tag, die Beziehungsstreß, Einsamkeit und offensive Sexualität zusammenklammert. „Fuck and run“ heißt der heimliche Hit der Platte: einfache Akkordfolgen, die unspektakulär, aber zielsicher die songdramaturgischen Register ziehen: Es dauert fast zwei Minuten – viel bei einem Drei-Minuten- Song –, bis der Refrain beginnt. Bis dahin versichert Liz Phair, daß sie einen Boyfriend will, während die Bassdrum vor sich hintuckert, als klopfe jemand auf einen Schuhkarton, und die Gitarre eher zaghaft unverzerrt verstärkte Saiten schnarren läßt. Kein Hall, keine Raumeffekte. Als der Refrain dann endlich kommt, setzt ein wie Schlittenglöckchen klingendes Tambourin ein, und der Gesang wird eine Idee, aber nur eine Idee, dringlicher: „Fuck and run, even when I was twelve“.

Verdächtig erleichtert stürzen sich Männer in der Musikproduktion und -rezeption auf das Modell „Post-Feminismus“, weil es sich so leicht formen läßt (etwa zu: „Wer nur wirklich will, der kann“, der uramerikanischen Ideologie). Aber das ändert nichts daran, daß Liz Phair eine atemberaubende Sicherheit im Chargieren von Frauen- Rollenzuschreibungen und einem über diese hinausgehenden analytischen Selbstverständnis hat: die scharfe Formulierung unscharfer Gefühle, die präzise Beschimpfung des lang genug Beobachtenden.

Da prallen „sanft“ gesungene Passagen, zarte Klavierthemen auf para-bluesige Soundentwürfe und Texte, die sich über Bohemia-Möchtegernhelden lustig machen („Check out the aftershave, check out America, your looking at it, babe.“ – aus „Soap Star Joe“). Und die daraus zu gewinnende Energie ist immer noch so stark, daß sie identifikationsstiftend wirkt, Vereinzelung, die im Privaten (nicht nur im Öffentlichen der Liz Phair) stattfindet, beschreibbar macht – damit also über das Emanzipative eines individuellen Lebensentwurfes hinausweist.

Vielleicht ist also nicht nur die Frauenband eine wirkliche Herausforderung für die männliche Hegemonie im Musiker- und Plattensammler-Spezialistentum, sondern auch die „phallische Frau“, die in dem Stück „Flower“ wie eine Elfe singt: „I want to fuck you like a dog“? Also doch nicht Post-Feminismus? Ob mit oder ohne Post, klar ist, daß hier Zuschreibungen des „Weiblichen“ aufgenommen werden (softe, fast ätherische Stimmen, lässige, zum Teil gedämpfte Rock-Instrumentierung) und textlich oder musikalisch wieder gegen Coolness, Intellekt, Sex ausgespielt werden.

Also eine Art Madonna für die Lemonheads- oder Nirvana- Fans? Für die sollte eigentlich Madonna Madonna sein. Liz Phair hat andere Möglichkeiten: Sie kann an 70er-Jahre-Traditionen des Songwriter-Rocks und der „Singer/Songwriter- Frau“ anschließen (Joni Mitchell, Laura Nyro) und genau das mit Madonnaeskem aufladen. Im Song namens „Girls! Girls! Girls!“ heißt es: „You been around enough to know / that if I wanna leave you better let me go / because I take full advantage / of every man I meet / I get away, almost every day, with what the girls call murder...“

Sie kommt durch mit „Mord“ – wenn man so das Verlassen eines Typen nennen kann. Aber im auf der Platte darauffolgenden „Divorce Song“ wird klar, daß es sich eher um ein Wörtlichnehmen handelt: Spät nachts kommt sie mit ihrem Begleiter nach einer langen Autofahrt im Hotel an und will ein eigenes Zimmer haben – denn daß er gesagt hat, sie sei es nicht wert, mit ihr zu reden, wendet sich gegen ihn: „I had to take your word on that“.

Daß er jetzt diesen Satz am liebsten in eine Kiste stecken und tief vergraben würde („box it up and bury it in the ground“), macht die Sache nicht mehr rückgängig: „You put in my hand a loaded gun and then told me not to fire it.“

Daß sie es doch tut, daß sie sich seine Macht, das Gefühlskonzept „Liebe“ zurückzuweisen, aneignet, bringt ihn in die passive Rolle: Nun muß er die Luft anhalten und bis zehn zählen, und wenn er Glück hat, dann fühlt er sich „alright“ wie sie, die sie ihn beim Wort genommen hat.

Liz Phair fühlt sich 18 Songs lang alright, trotz Einsamkeit oder Zurückweisung, die in Textzeilen aufflackert. Denn eins ist, auch wenn hin und wieder ein Piano gespielt wird, nicht ihr Ding: stumm bleiben. Jörg Heiser

Liz Phair: „Exile in Guyville“ (Matador/RTD)