■ Bücher.klein
: Frauen und Macht

Es dauerte Tage, bis in der bundesrepublikanischen Presse die Aufregung um die Nominierung einer Frau für den Schweizer Bundesrat aufgegriffen wurde. Und auch hier wurde eher schmunzelnd-chauvinistisch über die Auseinandersetzungen berichtet. Der „Fall Christiane Brunner“ – eine engagierte, qualifizierte Sozialdemokratin und Gewerkschafterin wird von ihrer Partei, der SPS, für den durch einen Rücktritt freigewordenen 100. Bundesratssitz nominiert und scheitert – führte Anfang März 1993 zu Protestdemonstrationen in der ganzen Schweiz, an denen Tausende Menschen teilnahmen. Brunner unterlag gegen ihren Parteikollegen Francis Matthey, der das Amt wegen des öffentlichen Drucks jedoch wohlweislich gar nicht erst antrat.

Nach langen parteiinternen Diskussionen einigte man sich auf die Doppelkandidatur von Christiane Brunner und ihrer Parteikollegin Ruth Dreifuss. Dreifuss wurde dann gewählt. Selten schnell und dennoch gelungen hat nun der Schweizer Limmat Verlag in einer Anthologie versucht, Licht ins Dunkel des „Brunner-Effekts“ zu bringen. 15 Journalistinnen und Historikerinnen analysieren u.a. die frauenfeindlichen Bewertungen der Presse bei Bekanntwerden der Brunner-Kandidatur (selbst liberale Blätter wie die Weltwoche schrieben: „Ihr Händchen, wenn man sie begrüßt, ist schmal wie das eines Kindes ... sie antwortet gescheit und rührend ungeschliffen ...“). Historische Exkurse über die Schweizer Frauenpolitik, das Verhalten der Parteien gegenüber Quotierung und Frauenthemen, Gespräche mit „einfachen“ Frauen, die sich im Kontext des legendären Schweizer Frauenstreiks von 1991 und der Brunner-Auseinandersetzungen politisieren, machen das Buch zu einer runden Sache. Am spannendsten ist sicherlich das Doppelinterview mit Christiane Brunner und Ruth Dreifuss, die sich als „politische Zwillingsschwestern“ begreifen und in ungewöhnlicher Offenheit über den Sinn und die Beweggründe ihrer Doppelkandidatur berichten.

Die lebhafte öffentliche Debatte in der Schweiz erscheint als Menetekel auch und gerade im Vergleich mit der Bundesrepublik. Man muß nicht unbedingt in die Kategorie des backlash verfallen, um die hiesige Situation als Paralyse zu begreifen. Frauen- oder Ökologiefrage drohen vom großen Krisenhammer zermalmt zu werden. Wo findet hier eine solch leidenschaftliche wie heftige öffentliche Debatte über mehr Frauen in der Politik statt? Wo gab es diese beispielhafte Seilschaft, ja faire Absprache zwischen zwei Politikerinnen, die sich nicht primär als Konkurrentinnen begriffen, sondern um der Sache willen taktisch agierten? AS

„Der Brunner-Effekt“, hrsg. von Esther Haas, Dore Heim, Christa Mutter und Linda Stibler. Limmat Verlag Zürich, 188 S., 29 DM