Langer Weg in den Bauch der Wissenschaft

■ Die modernen Wissenschaften grenzten Frauen von Anbeginn an aus

Kein Zweifel, es hat sie immer gegeben, die Wissenschaftlerinnen und Naturforscherinnen, die Einmaliges entdeckt und geleistet haben, die beobachteten und lehrten – ganz wie ihre männlichen Kollegen. Doch diese Frauen blieben immer Ausnahmen. Wie es dazu kam, daß im Entstehungsprozeß der modernen Wissenschaft die Frauen systematisch aus den wissenschaftlichen Institutionen ausgeschlossen wurden, schildert die amerikanische Historikerin Londa Schiebinger in ihrem Buch „Schöne Geister – Frauen in den Anfängen der modernen Wissenschaft“. Kein neues Klagelied über die ewige Benachteiligung begabter Frauen hat sie geschrieben, sondern eine ausgesprochen umfangreiche, stellenweise von feiner Ironie gefärbte Darstellung der Gründe, Denkweisen und Traditionen, die den Frauen – ohne daß ihr Ausschluß je schriftlich festgelegt worden wäre – den Zugang zum heiligen Tempel der Dame Scientia verwehrten.

Londa Schiebinger bettet die Lebensgeschichte von deutschen, englischen und französischen Wissenschaftlerinnen und Naturforscherinnen des 18. und 19. Jahrhunderts ein in die Geschichte der modernen Wissenschaft: Aus der Erdscheibe wurde eine Kugel, die nicht länger im Mittelpunkt der Welt stand, sondern gemeinsam mit anderen Planeten ihre Runden um die Sonne drehte. Newtons Gesetze der Mechanik und mit ihnen das mechanistische Weltbild verdrängten die Vorstellung von einer göttlichen Ordnung des Universums. Nur eines blieb: der Glaube an den Mann als Maß aller Dinge.

Eifrig suchten die Theoretiker einer neuen, gerechteren Gesellschaft im Körperbau der Frau nach Gründen für ihre Minderwertigkeit. Hatte man im 17. Jahrhundert noch angenommen, das weibliche Hirn sei zu „kalt“ und zu „schwach“, um die Strenge des Gedankens auszuhalten, so verfielen die Anatomen im 18. Jahrhundert darauf, daß die weibliche Schädelhöhle zu klein sei, um ein leistungsfähiges Gehirn zu beherbergen. Im 19. Jahrhundert schließlich behaupteten ernstzunehmende Wissenschaftler, übermäßige Gedankentätigkeit schade den Eierstöcken. Und – wer hat da gelacht? – vor gar nicht langer Zeit klammerten sich Mathematiklehrer dankbar an die Theorie, die Probleme mancher Schülerinnen mit der Geometrie wurzelten in den Besonderheiten der rechten weiblichen Gehirnhälfte.

Mit der Idee von der Ergänzung der Geschlechter legitimierten die Denker der Aufklärung schließlich nicht nur den Ausschluß der Frauen aus der Wissenschaft, sondern gleich aus dem gesamten öffentlichen Leben. Im privaten Studierstübchen durften die Damen sich ruhig weiterbilden – solange sie niemanden damit belästigten. Kaum einer mochte die „schönen Geister“ missen, die in Paris Salons unterhielten und so den Männern des Geistes Gelegenheit gaben, sich auszutauschen und der Karriere zuträgliche Kontakte zu knüpfen. Auch daß Frauen ihren Männern zur Hand gingen wie Maria Winkelmann, die Gattin des Astronomen Gottfried Kirch, der im Dienste der Berliner Akademie der Wissenschaften den Himmel beobachtete, wurde stillschweigend geduldet. Doch als die „Kirchin“ nach dem Tode ihres Mannes für sich selbst eine untergeordnete Stelle als Hilfsastronomin der Akademie beantragte, wurde ihr Ansinnen als „unsinnig“ und „ungereimt“ zurückgewiesen.

Mit der Entstehung der Akademien und der Professionalisierung der Wissenschaft wurde Weiblichkeit zum Synonym für Unwissenschaftlichkeit. Wer seinen Gegner in einem Gelehrtendisput besonders herabsetzen wollte, bezichtigte ihn der „Effeminierung“ – ein Begriff, mit dem vor allem englische Naturwissenschaftler die französische Geisteskultur schmähten. Und je mehr Wissenschaft zu einem ernstzunehmenden Beruf wurde, der Geld, Ruhm und Ehre verhieß, desto weniger gelang es Frauen, auch nur in die Nischen wissenschaftlicher Institutionen vorzudringen. Im closed shop der männlichen weißen Wissenschaft hatten Andersdenkende oder gar Andersartige kaum eine Chance. Was Wunder also, wenn Frauen sich auch heute noch im männlichen Wissenschaftsbetrieb nicht recht zu Hause fühlen. Die deutsche Professorenschaft ist nach wie vor zu 95 Prozent frauenfrei, und manche Hochschul-Frauenbeauftragte bezweifelt inzwischen, daß die Wissenschaftlerinnen die Fünfprozenthürde je schaffen werden.

Eine, die versucht, im „Bauch der Wissenschaft“ ihr Plätzchen zu finden, berichtet freimütig über männliche Klüngel und Postenschiebereien an deutschen Universitäten des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Frauenbildung, Studentenbewegung und Feminismus hin oder her, zwar sind die Talare abgeschafft, doch auch ohne diese muffelt es immer noch gewaltig, befindet die Berichterstatterin aus der akademischen Männerwelt, die die Anonymität bevorzugt. In deren Schutz macht sie aus ihrem Herzen keine Mördergrube. „Sylvia Curruca“ schreibt sich den Frust von der Seele: faule Profs und neidische Kollegen, unfähige Gutachter, honorige Sexisten und gelangweilte Studis – sie alle kriegen ihr Fett weg. Auch die Kolleginnen nicht zu vergessen, denn von Frauensolidarität hat die Berichterstatterin noch nie viel gehalten. Unsere Kundschafterin weiß in ihrer Abrechnung jedoch wenig Neues mitzuteilen. Erfrischend ist allenfalls, das aus dem Mund einer Insiderin so deutlich zu hören. Und deprimierend zu sehen, wie die von Londa Schiebinger beschriebenen Ausgrenzungsmechanismen weiter wirken: ignorieren, abqualifizieren, ins Lächerliche ziehen. So halten sich die Universitäten bis heute die schönen Geister vom Leib. Diemut Roether

Londa Schiebinger: „Schöne Geister – Frauen in den Anfängen der modernen Wissenschaft“. Klett- Cotta Verlag, 484 Seiten, 48 DM

Sylvia Curruca: „Als Frau im Bauch der Wissenschaft – Was an deutschen Universitäten gespielt wird“. Herder Verlag, 12,80 DM