Die Zunahme nimmt ab

Expertentagung des Bundesgesundheitsamtes zum Rinderwahnsinn / Britische Wissenschaftler sehen langfristig keine großen Probleme  ■ Von Ralf Sotscheck

Berlin (taz) – Man weiß zwar nach wie vor wenig über die „Bovine Spongiforme Enzephalopathie“ (BSE), den vor allem in Großbritannien auftretenden Rinderwahnsinn, aber Grund zur Sorge bestehe dennoch nicht. Das war der Tenor auf dem internationalen Symposium zur Übertragbarkeit von BSE und verwandten Hirnerkrankungen, das am Mittwoch im Bundesgesundheitsamt in Berlin stattfand.

Das Symposium war auf Druck des Bundesgesundheitsministers zustande gekommen. Horst Seehofer hatte offenbar erst jetzt gehört, daß die Übertragbarkeit von BSE auf den Menschen nicht auszuschließen sei und deshalb das Expertengespräch veranlaßt. Bahnbrechendes war allerdings nicht zu erwarten, da sich der Wissensstand in den vergangenen drei Jahren wenig geändert hat. So ist man sich über die Art des Erregers noch immer nicht einig. Manche Wissenschaftler glauben, daß die Krankheit durch ein rein körpereigenes Protein, das „Prion-Protein“, ausgelöst wird, andere sind davon überzeugt, daß der Erreger seine eigene Geninformation, also eine Nukleinsäure, besitzen muß.

Ursprünglich wurde BSE wohl durch proteinhaltige Futtermittel, denen infizierte Schafinnereien beigemischt waren, vor allem auf Milchkühe übertragen. Bei Schafen gibt es bereits seit 250 Jahren die BSE-verwandte Traberkrankheit oder Scrapie. 1981 wurde das Verfahren zur Herstellung der Futtermittel aus Profitgründen vereinfacht, der Erreger wurde dabei nicht mehr abgetötet. Auf dem Symposium berichtete der Epidemiologe Hugh Fraser aus Edinburgh, daß bei Labormäusen 20 Typen des Scrapie-Erregers identifiziert wurden, die unterschiedliche Eigenschaften und Inkubationszeiten aufwiesen. Der Erreger ist vor allem im Gehirn und Rückenmark, aber auch im lymphatischen Gewebe vorhanden, wie man durch Übertragungsexperimente feststellen kann. In wesentlich niedrigerer Konzentration konnte er inzwischen auch im Blut und in der Milch nachgewiesen werden. Fraser betonte, wie leicht der Erreger auf oralem Weg übertragen werden könne.

Die britischen Teilnehmer äußerten sich auf dem Symposium dennoch optimistisch. Sie begründeten das damit, daß die Maßnahmen ihrer Regierung jetzt Erfolg zeigten. 1988 hatte die Regierung ein Verbot erlassen, Futtermittel mit tierischen Proteinen an Wiederkäuer zu verfüttern. Zwar stieg die Zahl der Rinder, die an BSE gestorben sind, seitdem auf über 100.000 an, doch habe in diesem Jahr die „Zunahme zum ersten Mal abgenommen“. Der britische Epidemiologe John Whilesmith sagte, daß jede Woche etwa 750 Kühe neu an BSE erkrankten – 150 weniger als noch vor einem Jahr. Er erwartet deshalb, daß im nächsten Jahr ein dramatischer Rückgang bei den Neuerkrankungen einsetzen wird.

Die Frage, ob BSE eine Gefährdung für die Menschheit darstelle, konnte das Symposium nicht beantworten. Paul Brown vom US- amerikanischen Gesundheitsamt sagte, daß es keine Artenbarriere gebe. Zahlreiche Säugetierarten sind in Laborversuchen infiziert worden, zur Zeit breitet sich die Epidemie unter Katzen aus. Und wenn Primaten infiziert werden, dann mache der Erreger selbstverständlich auch vor Menschen nicht halt, sagt Brown. Dennoch gebe es keinen Grund, britisches Rindfleisch zu meiden, sagte Brown und stopfte sich bühnenreif ein Stück rohes Rindfleisch aus einem englischen Supermarkt in den Mund.

Daß bei dem Symposium vor allem Beruhigungspillen verabreicht wurden, lag auch an der Abwesenheit kritischer Wissenschaftler aus Großbritannien. Ein Teilnehmer meinte sarkastisch: „Alles, was die hier erzählen, ist von der Queen abgesegnet worden.“ In der Pause wurde unter der Hand ein Interview mit dem britischen Mikrobiologen Richard Lacey verteilt, der prophezeit, daß die Creutzfeld-Jakob-Krankheit, die eine jahrzehntelange Inkubationszeit hat, zum Gesundheitsproblem des nächsten Jahrhunderts werden könne. John Whilesmith sagte daraufhin zur taz, daß „Lacey verrückt ist und erschossen werden müßte“.

Professor Meinrad Koch, Virologe des BGA und Chef des Aids- Zentrums, fragte bei der Abschlußdiskussion, ob nicht ein generelles Einfuhrverbot von Fleisch aus Großbritannien notwendig wäre. Der Wissenschaftler Dr. Bradley aus London bescheinigte ihm dafür, daß er „unvernünftige Forderungen“ aufstelle, die „zu diesem Zeitpunkt nicht von wissenschaftlichen Erkenntnissen“ belegt seien. Auf die Frage, was das Symposium denn eigentlich bewirken sollte, antwortete Diringer, er werte es als Zeichen, daß auf diesem Gebiet jetzt endlich etwas getan werden soll. „Das hoffe ich jedenfalls“, fügte er hinzu.