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Archive gegen das Vergessen

■ Die Arbeitsgruppe „Cinematografie des Holocaust“ will Filmmaterial zugänglich machen / Eine Tagung in Bremen

„Der Holocaust bleibt ein Niemandsland des Verstehens“, schreibt der Frankfurter Kulturwissenschaftler Hanno Loewy. Aber es gibt die Bilder, die Texte, die Filme über den Holocaust. Und nicht selten suchen diese nach rationalen Erklärungen, schließlich nach einer ordentlichen historischen Einordnung der Massenvernichtung. Genau deshalb plädiert Loewy, zusammen mit vielen anderen Fürsprechern, für ein „Lern- und Dokumentationszentrum“ zur Geschichte des Holocaust, das seinen Sitz am Main haben soll.

Hier soll – unter anderem – ein tiefergreifender, genauerer Umgang mit den Quellen und den Sekundärmaterialien zum Thema gefördert werden. Die Auseinandersetzung mit dem Film besitzt dabei eine zentrale Rolle.

Der „Cinematografie des Holocaust“ widmet sich seit Anfang 1992 eine Arbeitsgruppe, die unter anderem vom „Bremer Institut Film/ Fernsehen“ (BIFF) initiiert wurde. Die Notwendigkeit dieser Forschung bestätigte sich jetzt aufs Neue bei der jüngsten Tagung der Arbeitsgruppe in Bremen: Bereits die ersten Projektentwürfe förderten mehr Fragen als Antworten darüber zutage, wie man heute mit den Filmbeiträgen zur Geschichte des Holocaust umgehen könnte.

Wie stark Filme auf unser eigenes Bild des Holocaust wirken, bestätigt sich für Thomas Mitscherlich vom Institut Film/Fernsehen immer wieder: Auf die Frage, wann ihnen die Massenvernichtung zum ersten Mal wirklich bewußt wurde, antworteten die meisten seiner deutschen Freunde mit einem Filmtitel. Dabei gingen die meisten der (neuen) deutschen Filmemacher „unwissend und oberflächlich“ mit dem Thema um: „Da werden die Deutschen selbst zu Opfern; die wirklichen Opfer kommen oft gar nicht vor.“

Von den Filmemachern selbst werde dieses Defizit gar nicht wahrgenommen. Das gelte auch und gerade für den Umgang mit historischem Dokumentarmaterial zum Holocaust. „Ich möchte, daß die sich dieses Material wirklich betrachten und nicht bloß wie einen Videoclip benutzen“, sagt Mitscherlich. Um dieses Bewußtsein ganz praktisch zu fördern, will die Arbeitsgruppe den Zugang zu den Filmen und den zugehörigen Materialien wesentlich erleichtern: Eine Art elektronisches „Findbuch“ soll den Weg zu den teils entlegenen Filmkopien weisen.

Die Idealvorstellung ist ein zentrales Bildarchiv in Frankfurt, bei dem Videokopien eingesehen und Informationen zur Beschaffung des Filmmaterials per Computer abgerufen werden könnten – z.B. von der Bremer Uni aus. Um dieses „Archiv gegen das Vergessen“ (AG-Mitarbeiter Bernd Fiedler) nun zu füllen, müssen freilich erst die verstreuten Fachkenntnisse gebündelt werden. „Es gibt zur Zeit nur Leute, die das im Kopf haben“, sagt Mitscherlich. Und die sind manchmal selbst überrascht, was die Kollegen aus anderen Ländern – oder sogar aus der direkten Nachbarschaft – an Detailinformationen mit sich herumschleppen.

So hat sich auf der Tagung u.a. ein genaueres Bild von der filmischen Rezeption des Holocaust in der DDR ergeben. Wolfgang Klaue, ehemals Leiter des zentralen Filmarchivs der DDR, hat dazu bereits eine erstaunliche Studie zur Quellenlage im Lande erarbeitet. Eine seiner Thesen: „Die Bewältigung des Faschismus ist in der DDR wohl konsequenter vollzogen worden als im Westen, aber was die Darstellung des Holocaust angeht, muß ich da meine eigenen Vorstellung revidieren.“

Seine Sichtung ergab, daß – wie im Westen – entsprechende Filme fast ausschließlich von jüdischen Autoren und Regisseuren initiiert wurden. Kollegin Cilly Kugelmann, Mitarbiterin am Jüdischen Museum in Frankfurt/Main, spricht vom „Betroffenheitsprinzip: Meistens sind es die Juden gewesen, die sich überhaupt mit diesem Thema befaßt haben.“

Vor allem seien Filme über den Holocaust in der DDR im Sinne der Staatsideologie instrumentalisiert worden; sie dienten oftmals, so Klaue, „der Rechtfertigung der Politik des eigenen Systems“. Jüdische Schicksale wurden beispielsweise als „Beitrag zum antifaschistischen Widerstand“ einsortiert – und damit relativiert.

Ein erstes Anzeichen für diese besondere Form der Verdrängung ist die mangelnde Zugänglichkeit dieser Dokumente: Wer an die – ohnedies relativ seltenen – Filme herankommen will, findet im Bundesarchiv in Koblenz, das die DDR-Bestände aufgenommen hat, unter dem Stichwort „Holocaust“ überhaupt nichts – alles wurde Sammelbegriffen wie „Jüdische Geschichte“, „Jüdische Kultur“ oder „Geschichte“ im ganz Allgemeinen zugeordnet.

Mit den Fragen einer neuerlichen Katalogisierung muß sich nun die Arbeitsgruppe herumschlagen. Das Problem vergrößert sich in anderen Bereichen wie zum Beispiel dem Amateurfilm sogar noch, wie die Tagung gezeigt hat. Hier vermuten Spezialisten wie Bernd Fiedler zwar kostbare, noch ungesehene Zeugnisse. Aber die Suche dürfte einigermaßen aufwendig und beschwerlich werden. „Massenhaften Erfolg wird man sicher nicht erwarten dürfen; aber für das wenige lohnt es sich vielleicht“, sagt Fiedler.

Ein weiteres Projekt widmet sich der Darstellung der „displaced persons“ im Film – ein Kapitel der unmittelbaren Nachkriegsgeschichte, das kaum mehr im Bewußtsein ist. Die wenigen Filme über die Hunderttausende von Heimatlosen, die teils aus den Vernichtungslagern direkt in die „d.p.“-Camps verfrachtet wurden, bedürfen ebenfalls einer gründlichen wissenschaftlichen Aufarbeitung.

Ein exemplarisches Beispiel lieferte die jüdisch/deutsche Produktion „Lang ist der Weg“, 1947 gedreht, der zur Tagung im Kino 46 lief: In dem Film werden zwar ausgiebig dokumentarische Aufnahmen aus den Vernichtungslagern und den „d.p.“-Camps verwendet; die melodramatische Rahmenhandlung aber verwischt die Grenzen zwischen jüdischen Opfern und deutschen Tätern gnädig.

Die Zeit, um solche Erkenntnisse, wie auch die Filme, öffentlich zugänglich zu machen, ist günstig. „Jetzt haben wir die technischen Möglichkeiten“, sagt Mitscherlich – wenn auch noch nicht den technischen Apparat. Die Zeit ist aber auch knapp. Denn das Wissen um die Filme und ihre Hintergründe ist nach vor auf wenige beschränkt. Und „je weiter die Ereignisse wegrücken, desto weniger erscheint dazu im Fernsehen“, sagt Mitscherlich. Vielmehr würden – z.B. in den USA – die ewig gleichen Holocaust-Filme gesendet; neues Material ist selten – „ein Prozeß der Ikonografisierung“, der dem Verstehen des Unbegreiflichen zunehmend entgegenläuft.

Jetzt gilt es für die Arbeitsgruppe, die einzelnen Projekte „antragsfähig zu machen“. Auf staatliche Hilfe darf sie dabei kaum hoffen. Mitscherlich will versuchen, Stiftungen, private Institutionen und Forschungsgemeinschaften für die Sache zu gewinnen.

Selbst in Frankfurt, wo noch vor zwei Jahren das „Lehr- und Dokumentationszentrum“ unter den salbungsvollen Versprechen der Kulturpolitiker aus der Taufe gehoben wurde, ist kaum mehr als eine feste Stelle für die Koordinationsarbeit übrig. Und die Bremer Tagung bezahlten alle Teilnehmer aus den schmalen Etats ihrer eigenen Institutionen. tom

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