■ Stadtmitte
: Behinderte schon wieder – Alltagssorgen haben wir doch alle!

UNO-Tag der Behinderten, wir sollen auch mal zu Wort kommen. Sogar ins Straßburger Europaparlament sind wir eingeladen, frei zu reden – nur hinkommen und unterkommen müssen wir selber. Trampen oder Fahrradklauen is nich. Also mit Geld. Bahn wäre bequem, aber nicht jeder IC-Zug führt den Großraumwagen mit vier Klappsitzen für zwei (!) Rollstühle und mit der breiten Klotür. Selbst wenn er vorgesehen ist, ist er oft „beim Rangieren wohl vergessen worden. Warten Sie auf den nächsten! Einen von Ihnen können wir ja mitnehmen, aber zweie stehen hier doch nur im Weg“ (Eisenbahner-Logik).

Wer da drei Stufen auf dem Arsch hochrobben kann, muß noch den Rollstuhl hinter sich herziehen können, denn die Bahnbediensteten machten keine Kurbelumdrehung an der Hubbrücke für uns... Wir hatten es trotzdem geschafft! Damals! Es war Sommer, die Hosen dreckig, aber nicht voll Schneematsch, die beiden Rollstühle zusammengeklappt in der Gepäckecke. Die Wut aber blieb im Bauch – und alles andere auch.

Um aufrecht nach Brüssel zu gelangen, wollten wir diesen coolen Reichsbahn-Wagen benutzen, den wir auf Strecken nach Prag und Wien, nach Amsterdam und auch Stralsund kennengelernt haben: den „Kombi-Wagen“. Er ist ein halber Gepäckwagen, aber mit Abteilen, wovon eines rolligerecht ist, und nebenan ein Klo, so groß, daß du mit Elektro-Rolli bequem darin rangieren kannst. Aber das Coolste ist, er kann nicht vergessen werden...

„Ob es den noch gibt, kann ich Ihnen nicht versprechen. Die sollen aus dem Fernverkehr genommen werden, da es kaum Bedarf dafür gegeben hat. Die werden jetzt umgebaut und für den Fahrrad-Transport im Regionalverkehr eingesetzt.“ Also noch mal so 'ne Abenteuerreise wie im Sommer?

Die Nierensteine gemahnten zwischenzeitlich doch, immer für eine Regelmäßigkeit zu sorgen. Außerdem ist die Zeit des Immer-abgebrühter-Werdens wohl vorbei: „Herzrhythmus-Störungen, Sie müssen sich nicht immer über alles so ärgern“, rät mir der Arzt. Mir fällt ein, daß mein Puls immer ruckt, wenn ein Bus endlich vor meiner Haltestelle auftaucht. Frage mich dann jedesmal: Wird der Fahrer die beiden Knöpfe richtig bedienen können oder beim Fehlversuch behaupten: „Geht ja nich!“ Oder die Hubplattform ist wirklich defekt, und an der Wagennummer erkenne ich, daß sie seit Monaten noch nicht repariert wurde.

Die Frage, Brüssel oder nicht, haben wir dann abgehakt, weil die rollstuhlgerechte Unterbringung auch noch nicht geklärt war (anzunehmen: wie in Berlin nur in Luxus-Hotels). Was hätte ich auch außer Alltagssorgen dort vorzutragen. So war ich hier, als Rollphi aus dem Krankenhaus anrief. Die rolligerechte Wohnung bekommt er erst nach dem 31. Dezember 93.

Danach fiele er unter die Pflegeversicherung und bekäme keinen Bestandsschutz: Nur wem das Sozialamt bis dahin „Hilfe zur Pflege“ bezahlt hat, behält diese Sozialhilfe. Die Versicherung zahlt viel weniger, das Gesetz dazu schafft aber gleichzeitig diesen Teil der Sozialhilfe ab. Also: Rollphi muß sofort raus aus dem Krankenhaus und rein zu mir. Nur wer privat wohnt, kann einen Antrag stellen und auch echt durchkriegen. (Also meine Bude aufräumen.) Die SPD Könnte sich wenigstens Zeit lassen. Michael Eggert

Der Autor ist ehemaliger Abgeordneter der Grünen und Rollstuhlfahrer.