Der Gatt-Kompromiß schwebt noch

Frankreich lotet aus, wieweit Deutschland ihm für den Weltfreihandelsvertrag entgegenkommt / USA und EU setzen die Zustimmung der anderen 108 Gatt-Länder voraus  ■ Aus Brüssel Alois Berger

„Alles ist klar, und nichts ist klar“, sagte der Landwirtschaftskommissar der Europäischen Union, Rene Steichen nach seiner Einigung mit dem US-Landwirtschaftsminister Mike Espy. Mit dem Kompromiß über den Abbau der europäischen Agrarsubventionen, den die beiden gefunden haben, scheint das schwierigste Hindernis auf dem Weg zu einem neuen Welthandelsabkommen Gatt beiseitegeräumt zu sein. Bisher war der Vertrag, um den seit sieben Jahren gerungen wird, regelmäßig am Streit um die europäischen Agrarsubventionen gescheitert. Aber erstens ist das Kompromißpaket zwischen der EU und den USA noch nicht endgültig unter Dach und Fach. Und zweitens gibt es noch weitere strittige Fragen.

Nichts ist also klar. Die europäische Kommission verhandelt nur im Auftrag der Mitgliedstaaten. Alle Ergebnisse müssen von den Mitgliedsländern, also vom Ministerrat, abgesegnet werden. Und dann müssen in Genf noch die anderen 108 Gatt-Mitglieder zustimmen. Die europäische Rechnung, daß der Rest der Welt annimmt, was EU und USA ihr vorsetzen, könnte ins Auge gehen. Zwar profitieren vor allem die Länder der Dritten Welt davon, wenn sich die Industrieländer gegenseitig Zugeständnisse abknöpfen, weil jeder Abbau von Handelssperren automatisch für alle Länder gilt. Aber einige Regierungen würden trotzdem gerne mitreden. Und dann gibt es auch noch Streitpunkte, die zwischen Washington und Brüssel keine Rolle spielen, aber für andere Länder wichtig sind, wie beispielsweise die Besteuerung amerikanischer Tochterunternehmen im Ausland.

Um den Verhandlungsspielraum bis zum 15. Dezember, den der US-Kongreß seiner Regierung eingeräumt hat, nicht alleine in Brüssel auszuschöpfen, hat der Ministerrat der Europäischen Union den Verhandlungsführer Sir Leon Brittan gestern schon mal zu den globalen Gatt-Gesprächen nach Genf geschickt. Allerdings kann Brittan in Genf nur mit vorläufigen EU-Positionen auftreten. Eine offizielle Anerkennung der mit den USA bisher erzielten Verhandlungsergebnisse scheiterte am Widerstand Frankreichs. Man darf aber davon ausgehen, daß die meisten EU-Außenminister dem Chef-Verhandler Brittan unter der Hand gesteckt haben, daß sich nicht mehr viel ändern wird. Vielmehr werden die Außenminister von Deutschland, Großbritannien, Holland und einigen anderen nun daran gehen, Frankreich zum Einlenken zu bewegen.

Der französische Außenminister Alain Juppé hat mitten in der Nacht zum Dienstag die Presse zusammengetrommelt, um mitzuteilen, was er schon am frühen Abend gesagt hatte: Er kenne zwar nicht die Einzelheiten, aber der Agrarkompromiß sei für Frankreich untragbar. Ob die Regierung in Paris selbst an ihre eigenartige Einschätzung des Agrarkompromisses als „amerikanisches Diktat“ glaubt, werden wir nie erfahren. Wahrscheinlicher ist allerdings, daß die Regierung in Paris vor allem den Preis für sein Einlenken hochtreiben will. Wenn die französichen Bauern auf ein Fünftel der Exportsubventionen verzichten sollen, und darum geht es im wesentlichen, dann müssen die europäischen Partner eine Entschädigung bereitstellen. Das hat Balladur vor Tagen in seinem Brief an Bundeskanzler Kohl angekündigt, und das hat Juppé nun mehrfach wiederholt. Zwar hat Juppé gestern nachmittag signalisiert, daß Frankreich mit dem Agrarkompromiß doch leben könne. Aber solange andere Fragen wie die Subventionen für den Flugzeugbau oder die Filmförderung ungeklärt sind, bleibt das gesamte Kompromißpaket offen.

Der Brief an Kohl läßt vermuten, an wen die Franzosen in erster Linie als Zahlmeister dachten. Bundeswirtschaftsminiser Rexrodt hat auch schon eingeräumt, daß man das Anliegen verstehe und bereit sei, allgemeine Zugeständnisse zu machen. Auf keinen Fall aber werde man in diesen Tagen über Details reden.

Die deutsche Regierung ist nicht die einzige, die sich vom Gatt-Abkommen einen wirtschaftlichen Schub erhofft. Großbritannien, Holland, Dänemark sehen das genauso. Aber nur die Bundesregierung hat von Beginn so deutlich gemacht, daß sie den Abschluß des Gatt-Abkommens um jeden Preis will. Jetzt ist Frankreich dabei, auszuloten, wie hoch „um jeden Preis“ genau ist.