Heilige Kühe will man nicht melken

Die stärkere Belastung Besserverdienender wird von den Parteien nur zaghaft diskutiert / Denn die gutverdienende Mittelschicht gilt als erklärter „Leistungsträger“ der Gesellschaft  ■ Von Barbara Dribbusch

Berlin (taz) – Wer schon 2.000 Mark Steuern zahle, dem mache es nichts aus, noch 200 Mark mehr abzuführen, verkündete unlängst der SPD-Parteivorsitzende Rudolf Scharping. Dem populären Spruch zur Belastung von Besserverdienenden folgen allerdings kaum Taten. Zwar sieht der wirtschaftspolitische Leitantrag der SPD vor, hohe Privateinkommen und große Vermögen stärker zu besteuern, um damit Investitionen in neue Arbeitsplätze zu finanzieren. Bei genaueren Nachfragen zur Umverteilung aber halten sich die Sozialdemokraten noch bedeckt. Man will die eigene Klientel nicht verärgern.

Doch was gilt als „besserverdienend“? Die SPD zog die Grenze bislang bei einem Jahreseinkommen von 60.000 Mark brutto für Alleinstehende und 120.000 Mark für Verheiratete. Das trifft nicht wenige: ein westdeutscher Beamtenhaushalt verfügte im Jahre 1992 durchschnittlich über ein Netto- Einkommen von 6.000 Mark. Selbständige kamen nach Berechnungen des WSI auf einen Mittelwert von 12.000 Mark. „Vielleicht müssen wir die Grenze noch anders setzen“, erklärt deshalb vorsichtig Rolf Bösinger, Mitarbeiter des stellvertretenden SPD-Vorsitzenden Lafontaine. Bezogen auf den Durchschnitt aller Haushalte in Ost und West nimmt sich die Gruppe der Besserverdienenden allerdings relativ klein aus: Denn nur zehn Prozent aller Mehrpersonenhaushalte verfügen über mehr als 6.000 Mark netto im Monat.

Das Anzapfen der Besserverdienenden trifft nicht die Mehrzahl, aber die gebildete Mittelschicht, die erklärten „Leistungsträger“ der Gesellschaft. Diese stärker zu belasten hält Wirtschaftsminister Günter Rexrodt (FDP) „für das Verkehrteste überhaupt“. Man würde „Leistungsanreize kappen und Investionen verhindern“. Sein Argument wird von vielen in der SPD geteilt. „Wir müssen erst mal die Haushaltsentwicklung beobachten. Jegliche Erhöhung von Steuern ist wirtschaftlich derzeit schwer durchsetzbar“, meint Bösinger. „Da könnte dann auch Kaufkraft verlorengehen.“

Die Grünen wollen weniger zimperlich sein. „Bei unserer Klientel gibt es schon eine Bereitschaft, was abzugeben“, freut sich Anne Nilges, Pressesprecherin der Bundesgeschäftsstelle Bündnis 90/ Grüne. Bei Lehrern und Sozialarbeitern sitze das Geld „lockerer, wenn sie das Gefühl haben, daß wir uns für eine unterprivilegierte Klientel einsetzen.“ Auch wenn die Grünen direkt ans Vermögen ihrer Wähler wollen, etwa indem sie eine deutliche Erhöhung der Erbschaftssteuer befürworten, dürfte das ihre sozial gesinnten Anhänger kaum abschrecken. Da die Partei politisch zu schwach ist, wird sich die ganz große Umverteilung ohnehin nicht durchsetzen. Das wissen auch ihre Wähler.