Vom Bürgerkrieg erschöpft

Seit viereinhalb Jahren hält Birmas Militär Aung San Suu Kyi in Rangoon unter Hausarrest. Heute wird der Sohn der Nobelpreisträgerin an ihrer statt den „Solidaritätspreis“ der Stadt Bremen entgegennehmen  ■ Von Dorothee Wenner

Unter seinem grün-braunen Militärhemd trägt Bo Zaw ein Medaillon, ein Lederbändchen, an dem ein winziges Foto der birmesischen Nobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi baumelt. Wie viele andere Oppositionelle war der jetzt 27jährige Medizinstudent nach dem Massaker von 1988 in den Dschungel an der thai-birmesischen Grenze geflohen, in die befreiten Gebiete der ethnischen Guerilla. Seit über vier Jahrzehnten dauert in dieser unzugänglichen Bergregion nun schon der Bürgerkrieg der nationalen Minderheiten gegen die Zentralregierung in Rangoon. Obwohl Bo Zaw beim allmorgendlichen Exerzieren seine AK 47 mit sehr viel Ehrgeiz und Routine handhabt, verehrt er die streng pazifistische Gandhi- Anhängerin Aung San Suu Kyi fast wie eine Heilige, eine Märtyrerin für Freiheit und Demokratie.

Längst hätte Suu Kyi ihren Kampf aufgeben und das Land verlassen können, aber sie weigert sich, den Bedingungen der Militärjunta Folge zu leisten, die sich „Staatlicher Rat zur Wiederherstellung von Gesetz und Ordnung“ (SLORC) nennt. Seit dem 20. Juli 1989 wird sie in Rangoon unter striktem Hausarrest gefangengehalten – und ist während dieser langen Jahre des erzwungenen Schweigens stets die wichtigste Figur und Hoffnungsträgerin der demokratischen Opposition Birmas geblieben. Die Tochter des populären birmesischen Unabhängigkeitskämpfers Aung San hatte lange Jahre im Exil gelebt, bevor sie 1988 nach Birma zurückkehrte und das Vertrauen der Bevölkerung gewann.

Am heutigen „Tag der Menschenrechte“ wird Aung San Suu Kyi in Abwesenheit der „Solidaritätspreis“ der Stadt Bremen verliehen. An ihrer Stelle nimmt ihr Sohn diese Auszeichnung im Alten Rathaus der Stadt in Empfang. Mit dem in diesem Jahr zum viertenmal verliehenen Preis sollen Personen gewürdigt werden, die zur Überwindung der Ungerechtigkeit im Nord-Süd-Verhältnis und der Folgen von Kolonialismus und Rassismus beitragen. Die Forderung, Aung San Suu Kyi und alle politischen Gefangenen freizulassen, war bis vor wenigen Monaten so etwas wie der kleinste gemeinsame Nenner der birmesischen Opposition, die sich zu einer Koalition aus aufständischen Minderheiten und vor den Militärs geflohenen politischen Dissidenten zusammengefunden hat. Nur wenn diese Bedingungen erfüllt seien, so hieß es in unzähligen Resolutionen und Stellungnahmen, sei man zu Verhandlungen mit dem SLORC bereit.

Aung San Suu Kyi wäre nach dem überwältigenden Wahlsieg ihrer Partei eigentlich seit Mai 1990 die rechtmäßige Regierungschefin Birmas, aber die Militärs weigern sich mit Hilfe einer hervorragend ausgerüsteten Armee, die Macht abzugeben. Offiziell legitimiert der SLORC diese Politik mit dem Fehlen einer Verfassung, an deren Ausarbeitung eine vom SLORC handverlesene Nationalversammlung im Zeitlupentempo herumlaboriert. Am Dienstag beschuldigte der UNO- Ausschuß für soziale, humanitäre und kulturelle Angelegenheiten das Regime in Birma, die Nationalversammlung nur zum Ziele des eigenen Machterhalts zu instrumentalisieren. Einen Fortschritt in Richtung auf Machtübergabe an eine zivile Regierung sei nicht zu erkennen.

Doch bislang konnten auch internationale Appelle und halbherzige Sanktionen nichts bewegen. Gestärkt vor allem durch überaus freundschaftliche Beziehungen zum Nachbarland China, scheint es die birmesischen Generäle nicht weiter zu beunruhigen, wenn sich Bill Clinton, Rita Süssmuth oder die UNO ab und an kritisch über die gravierenden Menschenrechtsverletzungen im Lande äußern.

So bereiten sich jetzt, nach dem Ende der Regenzeit, die bewaffneten Widerstandsgruppen auf eine weitere Etappe in diesem vom Westen vergessenen Bürgerkrieg vor. Allerdings unter neuen Vorzeichen: eine der militärisch bedeutendsten ethnischen Widerstandsorganisationen, die Kachin Independent Organization, KIO, verhandelt seit Februar diesen Jahres mit dem SLORC über einen Waffenstillstand.

Noch sind die Verträge nicht unterzeichnet, aber im Kachin- Staat, dem Land der grün schimmernden Jade, hat sich die Bevölkerungsmehrheit gegen die Fortsetzung des Bürgerkriegs ausgesprochen. „Politische Probleme können nur am Verhandlungstisch und nicht auf dem Schlachtfeld gelöst werden“, lautet nun die Devise des KIO-Zentralkomitees. Das bedeutet die Bereitschaft der Kachin zu einem Waffenstillstand mit dem SLORC, auch wenn Aung San Suu Kyi immer noch unter Hausarrest steht und es dem UN-Sonderbeauftragten Yozo Yokota im November zum wiederholten Male verwehrt wurde, die prominenteste Frau Birmas zu besuchen.

Auch angesichts der Kriegsmüdigkeit an der Basis ist dies für die alten Kämpfer in der komplizierten multiethnischen Oppositionsallianz schwer zu akzeptieren. „Es ist, als würde uns von einem Verbündeten das Messer in den Rücken gejagt“, kommentierte vor einigen Tagen ein verdienter Revolutionär im Rebellen-Hauptquartier Manerplaw die Verhandlungen der Kachin mit der Militärjunta.

Manerplaw liegt an einer strategisch günstigen Stelle in Kawthoolei, dem Staat der Volksgruppe der Karen, an der Grenze zu Thailand. Bunker, Exerzierplätze und Checkpoints lassen die ansonsten eher dörflich und friedlich wirkende „Hauptstadt des Widerstands“ zu einer Festung mitten im Dschungel werden. Oberster Chef in Manerplaw ist General Bo Mya, er ist zugleich auch Vorsitzender der Democratic Alliance of Burma (DAB), der Dachorganisation der Widerstandsgruppen.

General Bo Mya machte keinen Hehl aus seiner Wut, seiner Enttäuschung darüber, daß die Kachin als vormalige Alliierte aus der „Einheitsfront“ der DAB ausgeschert sind: „Es ist offenkundig, daß die SLORC die Kachin überlistet hat.“ Könnte es nicht doch sein, daß die KIO versucht, im Namen aller Oppositionsgruppen einen nationalen Waffenstillstand auszuhandeln? „Nein, das ist nicht möglich. Wir als DAB folgen gewissen Prinzipien, und die Kachin haben sich nicht daran gehalten. Entgegen den Vereinbarungen haben sie heimlich und separat mit dem SLORC verhandelt.“ Und er dementierte vehement Berichte, nach denen sich auch Unterhändler der Karen – seiner eigenen Gruppierung – mit Junta-Generälen zu Verhandlungen getroffen haben: „Das sind Propagandalügen des SLORC. Wir bereiten uns hier in Manerplaw auf militärische Auseinandersetzungen mit den Regierungstruppen vor, die intensiver sein werden als in den vergangenen Jahren. Möglicherweise werden wir Kämpfe erleben, wie es sie in Birma nicht einmal während des Zweiten Weltkrieges gegeben hat.“ Beim Anblick der vielen Karen-Soldaten, die Richtung Front geschickt werden, zweifelt man nicht an General Bo Myas Entschlossenheit.

Auch im benachbarten Dawghwin, dem Hauptquartier der Studentenarmee ABSDF, bereitet man sich auf einen baldigen Überfall vor. Im improvisierten Büro des ABSDF-Vorsitzenden Dr. Naing Aung steht zwischen Landkarten, Zeitungsartikeln und Teegläsern griffbereit ein nervös piepsendes Walkie-Talkie. Die studentischen Rebellen witzeln sarkastisch über die bevorstehende Attacke und empfehlen halb im Scherz, halb im Ernst, noch ein paar Erinnerungsfotos von ihrem Camp zu machen. Gefragt, warum er so sicher mit einem Überfall rechne, antwortete Naing Aung: „Wir haben Meldungen von Truppenbewegungen der birmesischen Armee, die darauf schließen lassen.“

Die Situation entlang der thai- birmesischen Grenze steht im verwirrenden Widerspruch zu den Meldungen des Staatsfernsehens. Dort nämlich ließ der einflußreiche Chef des Geheimdienstes, Khin Nyunt, Ende November alle bewaffneten Rebellengruppen in blumigen Worten wissen, daß der SLORC seine militärischen Gegner aufrichtig und ohne falsche Hintergedanken zu Verhandlungen einlade. „Wir sind alle Brüder. Wir sind wie eine Familie in einem großen Haus, wo wir als älterer Bruder, ältere Schwester, als jüngerer Bruder und jüngere Schwester gemeinsam in Liebe und Einigkeit wohnen können. Wenn wir alle so leben, wird es ein angenehmes Haus sein.“ Daß blindes Vertrauen in diese Einladung des SLORC an Selbstmord grenzt, darüber sind sich alle Widerstandsgruppen in Birma einig. Im Moment beweist der SLORC noch täglich aufs neue, wie unangenehm das Leben im „großen Haus“ für die Minderheiten und politisch Andersdenkenden aller Wahrscheinlichkeit nach aussehen würde: Der Terror in Birma ist allgegenwärtig und systematisch. Wie sind vor diesem Hintergrund die jüngsten Angebote Khin Nyunts zu deuten? Vor den dunklen Tea-Shops von Manerplaw wird derzeit auch lange nach der offiziellen Sperrstunde noch diskutiert, die Stimmung ist auf indirekte Weise gereizt. Weil niemand genau weiß, welche Folgen der Waffenstillstand der Kachin für die anderen Widerstandsgruppen hat, gibt es mehr Gerüchte und Spekulationen als handfeste Nachrichten. Die allgemeine Unsicherheit fördert ein gefährliches Klima gegenseitigen Mißtrauens zwischen den vielen ethnischen Fraktionen, die Grenze zwischen Revolution und Realpolitik verschwimmt immer mehr. In den völlig verarmten Dörfern in den Gebieten der ethnischen Nationalitäten sind die Menschen vom Bürgerkrieg erschöpft. Das können auch die entschlossensten Rebellenführer nicht mehr ignorieren. Die systematischen Schikanen, Überfälle, Vergewaltigungen und Plünderungen durch die SLORC-Soldaten zeigen ihre Wirkung.

Sie seien hungrig, verzweifelt und ausgebrannt, meint der Village Headman, der Dorfchef, aus dem Nyaunglebin-Distrikt, unweit der vom SLORC kontrollierten Gebiete. Seine Leute würden die birmesische Armee zwar aus gutem Grund auf immer und ewig hassen, aber sie hätten einfach keine Kraft mehr zum Widerstand.

Vergangene Woche wurde bekannt, daß nun auch Vertreter der Mon-Rebellen mit SLORC-Repräsentanten über einen Waffenstillstand verhandeln. Und am Dienstag hat ein Mitglied der Demokratischen Allianz und Sprecher der Karen, Dr. Em Marta, nach Berichten der Financial Times erklärt, die DAB sei bereit, mit den Generälen zu sprechen: „Wir können nach Rangoon gehen, um zu sehen, was sie anzubieten haben, und um ihre Aufrichtigkeit zu prüfen.“ Die Generäle müßten aber mit der DAB verhandeln und nicht mit einzelnen Mitgliedsgruppen, betonte er. Es häufen sich somit die Zeichen, daß ein Ende der bewaffneten Auseinandersetzungen in weiten Teilen Birmas immer wahrscheinlicher wird.

Doch deswegen vorschnell auf Frieden zu spekulieren, hieße, die neuen Waffen des SLORC als solche nicht zu erkennen. Über vierzig Jahre lange konnten sich die Widerstandsgruppen gegen die ungleich besser ausgerüstete birmesische Armee behaupten, weil der Krieg in den wilden, schwer zugänglichen Bergregionen an den Grenzen zu Bangladesh, Indien, China, Laos und Thailand geführt wurde. Aber jetzt rücken die durch den Regenwald gehauenen Schneisen für Highways und Gas- Pipelines mit jedem Monat näher, immer konkreter werden die Pläne für acht gigantische Staudamm- Projekte am Salween River, die gemeinsam vom SLORC und der Asian Development Bank oder einigen japanischen Firmen ausgeheckt werden.

Statt mit dem bekannten, grimmigen Gesicht des Soldaten tritt der SLORC mit diesen Projekten vor den Augen der Weltöffentlichkeit nunmehr im Kleidchen des Fortschritts auf. Weil jedoch vor allem die vielen neuen Straßen in den Bürgerkriegsgebieten von zwangsrekrutierten Dorfbewohnern unter unsäglichen Bedingungen gebaut werden, ist es unwahrscheinlich, daß sich die Mon oder Karen, die Kachin oder Karenni von den Fortschrittsversprechungen des SLORC blenden lassen. Wer von den nationalen Minderheiten jetzt einem Waffenstillstand zustimmt, beweist vielmehr die Einsicht, daß man mittelfristig mit ein paar AK 47 gegen die Macht internationaler Banken, Energiekonzerne und Straßenbaufirmen nicht viel ausrichten kann.