Bremen ade

■ Handelskammer: jeder dritte Betrieb will weg / „dramatische Lage“

Fast ein Drittel der bremischen Industrieunternehmen ist auf dem Absprung und will innerhalb der nächsten drei Jahre die Produktion ins Ausland verlagern. Das zumindest ist das Ergebnis einer gestern veröffentlichten repräsentativen Umfrage der Bremer Handelskammer unter 400 Bremer Unternehmen. Als Gründe seien dafür hauptsächlich zu hohe Kosten, Steuern und Abgaben genannt worden, sagte Handelskammer-Präses Josef Hattig gestern vor der Landespressekonferenz. Mit 58 Prozent steht Osteuropa an der Spitze der Abwanderungsregionen, gefolgt von Westeuropa mit 24 und Nordamerika mit 17 Prozent.

Dieser Trend zur Abwanderung sei allerdings kein typisch bremisches Problem, betonte Hattig, sondern lediglich die Verlängerung einer bundesweiten Bewegung. Und die anonyme Absichtserklärung in einer Umfrage sei natürlich noch nicht mit einer tatsächlichen Verlagerung gleichbedeutend. Dennoch sieht Hattig damit seine insgesamt düstere Einschätzung der wirtschaftlichen Lage Deutschlands im Allgemeinen und Bremens im Besonderen bestätigt.

„Bremen hat sich im laufenden Jahr noch weiter vom Bundestrend abgekoppelt“, meinte Hattig. Das Bremer Bruttoinlandsprodukt sei im ersten Halbjahr real um 3,6 Prozent gesunken. Nur Baden-Württemberg schnitt – allerdings auf deutlich höherem Ausgangsniveau – noch schlechter ab. Dagegen verzeichneten die direkten Nachbarn Niedersachsen, Hamburg und Schleswig- Holstein wesentlich bessere Ergebnisse als Bremen.

Die Zahl der bremischen Industriebeschäftigten liegt inzwischen bereits mit rund 77.000 um fünf Prozent unter dem Vorjahreswert. Da sich auch die Industrieumsätze mit minus elf Prozent ungünstiger als im westdeutschen Durchschnitt entwickelten, geht Hattig von der notwendigkeit „weiterer Beschäftigungsanpassungen“, im Klartext Entlassungen, aus. Die bereits heute um 50 Prozent über dem westdeutschen Durchschnitt liegende Bremer Arbeitslosenquote von 12,8 Prozent werde wohl noch steigen.

Auch der Bremer Exporthandel habe in der Umfrage seinen Geschäftsverlauf 1993 als „dramatisch schlecht“ bezeichnet. Beim Importhandel werteten nur 40 Prozent die Geschäftslage als befriedigend, im Großhandel zeichne sich dagegen eine Stabilisierung ab. Mit einem Gesamtumschlag von rund 28 Millionen Tonnen mußten die bremischen Häfen überproportionale Einbußen hinnehmen.

Einen kleinen Hoffnungsschimmer sieht Hattig lediglich im Einzelhandel. Zwar hätten auch hier die Umsätze im ersten Halbjahr real um 4,2 Prozent abgenommen, doch angesichts einer Abnahme im Bundesdurchschnitt von 4,7 Prozent habe Bremen wieder etwas aufgeholt. An den langfristigen Verlusten Bremens konnte dies jedoch nichts ändern. Denn während sich die Einzelhandelsumsätze im Bundesdurchschnitt der letzten 23 Jahre um real 154 Prozent steigern konnten, taten sie das in Bremen nur um 113 Prozent.

Heftige Kritik hatte Handelskammer-Präses Hattig wiederum an der Politik des Ampelsenats. Noch vor einem Jahr habe die Landesregierung beschlossen, von den Sanierungshilfen des Bundes in Höhe von 1,8 Milliarden Mark die Häfte zur Schuldentilgung zu verwenden. Im demnächst zu verabschiedenden Haushalt für 1994 seien aber nur noch 300 Millionen dafür vorgesehen. Und auch dies sei angesichts weiter sinkender Steuereinnahmen noch keineswegs sicher. „Hätte ich das im letzten Jahr schon gewußt“, so Hattig, „dann hätte ich die ,Bremer Erklärung' noch zögerlicher unterschrieben, als ich es sowieso schon getan habe.“

Aus dieser miesen wirtschaftlichen Lage sieht die Handelskammer nur einen Ausweg: Beton. „Wir brauchen die Hemelinger Marsch als Gewerbefläche“, sagte Hattig, „wir brauchen die A281, einen vierspurigen Hemelinger Tunnel und den Erhalt der vier Spuren in Leher und Schwachhauser Heerstraße.“ Daß letzteres mit dem geplanten Bau der neuen Straßenbahnlinie 4 kollidiert, sieht Hattig wohl. Aber: „Eine Stärkung von Bremens Wirtschaftskraft läßt sich aus der neuen Straßenbahnlinie mit Sicherheit nicht ableiten.“ Ase