: Kleiner Lärm in der Großen Koalition
■ Abstimmungsvotum von Bundessenator Radunski (CDU) zur Pflegeversicherung will der SPD „nicht in den Kopf“
Noch am Donnerstag abend schien die Welt der Berliner Koalitionäre von Sozial- und Christdemokraten für einen Moment in Gefahr. In seiner ersten Verärgerung hatte SPD-Partei- und Fraktionschef Ditmar Staffelt für nächste Woche die Einberufung einer Sondersitzung des Abgeordnetenhauses angekündigt.
Anlaß zur Verstimmung gab das kurz zuvor bekanntgewordene Abstimmungsverhalten des Berliner Bundessenators Peter Radunski zur Pflegeversicherung. Der CDU-Politiker hatte am Donnerstag abend im Vermittlungsausschuß einer Bonner CDU/FDP- Vorlage sein Placet gegeben, in der die Streichung von zwei Feiertagen vorgesehen ist. Dabei hatte sich erst am Dienstag der Senat auf einen Feiertag als Kompensation für die finanziellen Leistungen der Arbeitgeber verständigt.
Gestern nun waren aus Staffelts Mund – trotz radikalverbaler Kritik („Die Entscheidung von Radunski will mir nicht in den Kopf“) – zwischen den Zeilen auch mäßigende Töne herauszuhören. Die „Koalitionsfrage“ stelle sich für ihn erst, wenn Berlin am nächsten Freitag tatsächlich im Bundesrat der Vorlage des Vermittlungsausschusses zustimme. Danach sah es gestern – nach der ersten Aufregung – allerdings nicht mehr aus. Der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) entschärfte flugs den Konflikt, indem er über seinen Sprecher verlauten ließ, Berlin werde dem Kompromiß des Vermittlungsausschusses nicht zustimmen. Das Papier stelle noch keine ausgewogene Beteiligung von Arbeitnehmern und Arbeitgebern dar.
SPD-Chef Staffelt wiederum rückte daraufhin vom Antrag einer Sondersitzung im Abgeordnetenhaus ab. Das weitere Vorgehen seiner Partei werde von einer Sitzung des Koalitionsausschusses an diesem Sonntag abhängig gemacht. Staffelt forderte die CDU auf, sich endlich klar zu äußern. Es nütze wenig, wenn Diepgen ständig erkläre, er wolle die Pflegeversicherung, wenn zugleich die Bedingungen unklar seien. Eine Rücktrittsforderung an die Adresse Radunskis – wie sie am Freitag der Berliner SPD-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Thierse geäußert hatte – lehnte er ab. Man müsse sich „in der Sache“ verständigen.
Radunskis Sprecher Lutz Nebelin gewann der Entscheidung im Vermittlungsausschuß eine positive Seite ab. Der vorgesehene zweite Feiertag solle ja nicht im nächsten Jahr, sondern erst 1996 eingeführt werden. Bis zur Entscheidung im Bundesrat am kommenden Freitag habe man noch Zeit, die „Vorteile des Vermittlungsvorschlages zu diskutieren“, so Nebelin gestern. Darüber hinaus verteidigte er das Abstimmungsverhalten des Bundessenators. Dieser sei nach dem Grundgesetz an keinerlei Weisungen gebunden.
Eine Tatsache, die SPD-Boß Ditmar Staffelt auch bewußt war. Dennoch, so der Politiker, habe man erwartet, daß Radunski „im Geist des Berliner Senats abstimmt“. Severin Weiland
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