Lust an der Verausgabung

Reinaldo Arenas' Leben zwischen Castros Kaderschmiede und Quickies im Park  ■ Von Bernd Imgrund

Es gibt Bücher, deren literarische Mängel man nicht offen ankreiden möchte – aus Rücksicht auf die widrigen Umstände der Niederschrift oder wegen eines Sujets, das formale Schwächen vergessen läßt. Manchmal auch aus beiden Gründen, wie im Falle von „Bevor es Nacht wird“, der Autobiographie des Kubaners Reinaldo Arenas.

Die aufregende Entstehungsgeschichte erklärt den Titel: Im Leninpark von Havanna, die kubanische Polizei auf den Fersen, begann Arenas seine Memoiren und schrieb Tag für Tag, bis es dunkel wurde. Nach der Flucht und dem Verlust seiner Aufzeichnungen machte er sich 1987 von neuem ans Werk, diesmal als Exilant in einem amerikanischen Krankenhaus, den Aids-Tod vor Augen und ein Diktiergerät vor dem Mund.

Arenas' Vermächtnis – 1990, nach Abschluß der Arbeit an „Bevor es Nacht wird“, beging er Selbstmord – enthält einen Appell zur Befreiung Kubas. Noch seinen dem Buch angefügten Abschiedsbrief widmet er diesem Ziel. Während Fidel Castro längst vom Helden der Sierra Maestra zum vergreisten Diktator chaplinesken Zuschnitts mutiert ist, werden in Kuba weiterhin Menschen willkürlich verhaftet, gefoltert und, wie zuletzt der Schriftsteller Norberto Fuentes, an der Ausreise gehindert. Eines von Castros Opfern, das sämtliche Schikanen des Überwachungsstaates durchleiden mußte, war auch Reinaldo Arenas.

1943 geboren, schloß er sich 14jährig den Castro-Rebellen an. In der Rückschau demontiert Arenas selbst den Gründungsmythos des sozialistischen Kuba, den revolutionären Sturz des Batista-Faschismus. Eine Revolution, so Arenas, habe nie stattgefunden, Batistas Truppen seien vielmehr Hungers geflohen, ohne für das alte Regime mit ihrem Leben einzutreten. Letztlich sei es die Ablehnung der überwältigenden Volksmehrheit gewesen, die Batistas korrupte Nomenklatura aus dem Land getrieben habe. Castro habe dann nachträglich die Zahl der Revolutionsopfer auf 20.000 hochgeschrieben, ohne je deren Namen zu veröffentlichen.

Aufs engste verzahnt mit Arenas' politischer Opposition ist sein Bekenntnis zur Homosexualität. So erschreckend seine detaillierte Schilderung des Castro-Terrors, so verblüffend ist die seiner sexuellen Exzesse und der Verbreitung der Homosexualität unter kubanischen Männern. Aufgewachsen im ländlichen Osten Kubas, wo bäuerliche Erdverbundenheit und spiritistischer Katholizismus Hand in Hand gehen, richtete er als Kind bereits Hunde ab, fixierte Hühner und Stuten oder bohrte Löcher in Weichholzbäume, um zu onanieren. Als 25jähriger kommt Arenas auf überschlagene 5.000 Affären, zuweilen ein Dutzend täglich, die meisten davon Quickies am Strand, in Parks oder öffentlichen Toiletten.

Dazwischen lag die Zeit als Student am neu eingerichteten Institut für Wirtschaftsplanung, wo Castros sozialistische Avantgarde herangezüchtet wurde. Arenas war sich zu diesem Zeitpunkt, 1960, bereits über seine ausschließliche Neigung zu Männern im klaren, hielt sie aber noch für einen Defekt, den es aus Angst vor der Verachtung des lateinamerikanischen Machismo und drohenden Strafen zu unterdrücken galt. Als er die Selbstkasteiung ein Jahr später nach einem Initialerlebnis auf der Rückbank eines vollbesetzten Taxis schließlich aufgab, hatte Castro die Grundfesten seines Repressionsapparates längst zementiert. Nach der Niederschlagung des CIA-gesteuerten Aufstands in der Schweinebucht vom April 1961 konnte der máximo lider im Lande schalten und walten, wie er wollte. Ganz Kuba wurde mit einem dichten Spitzelnetz überzogen, die Verabschiedung von Anti-Homosexuellen-Gesetzen ging einher mit der Einrichtung von Straflagern für Schwule und Regimegegner aller Art.

Für seinen Roman „Celestino vor dem Morgenrot“ erhielt Reinaldo Arenas 1964, noch bevor er sich öffentlich zu seiner Homosexualität bekannte, einen Literaturpreis. Das Buch wurde, als sein erstes und bislang einziges, in Kuba veröffentlicht. Arenas ließ sich zwar von den Repressionen, denen er als Schwuler und Oppositioneller ausgesetzt war, nicht unterkriegen, aber als Schriftsteller trafen sie ihn ins Mark. Die Geschichte seiner nur zum Teil erfolgreichen Versuche, Manuskripte zur Veröffentlichung außer Landes zu schmuggeln, liest sich ebenso abenteuerlich wie sein und seiner Freunde Überlebenskampf im abgewirtschafteten Havanna. Der Wunsch, unbehelligt leben und publizieren zu können, bewog ihn schließlich zur Flucht, die im dritten Anlauf – nach mehreren Selbstmordversuchen, nach fast einjähriger Kerkerhaft und einer Umerziehungsfolter in einem Lager der Geheimpolizei – im Jahr 1980 gelang.

Auf den ersten Schritt auf vermeintlich freiheitlichem Terrain folgt mit dem zweiten bereits die Ernüchterung. Zwar wird Arenas in den USA zunächst als Held gefeiert, aber während seiner ersten Auftritte stößt er sowohl die in Florida einflußreichen, ultrakonservativen Exilkubaner als auch die linken Intellektuellen vor den Kopf. Sein vernichtendes Urteil über den sozialistischen Musterstaat Kuba mögen die letzteren nicht wahrhaben. Die Angst der westlichen „Luxuskommunisten“, ihr Kuba- Bild revidieren und damit einen linken Mythos aufgeben zu müssen, schildert Arenas anläßlich eines Banketts der Harvard-Universität, in dessen Verlauf ihn ein deutscher Professor rotbrüderlich zur Brust nahm: „Ich verstehe ja in gewisser Weise, daß du in Kuba womöglich einiges durchgemacht hast, aber ich bin ein großer Bewunderer Castros.“ Arenas darauf: „Ich finde es ausgezeichnet, daß sie Fidel Castro bewundern, aber dann dürfen sie jetzt nicht weiteressen, denn niemand in Kuba, außer den Funktionären, bekommt solches Essen.“

Wie er daraufhin des Professors Teller an die Wand schmiß, so warf Arenas seine Autobiographie aufs Papier, vom Tode gehetzt und voller Wut und Verzweiflung über den Starrsinn auf beiden Seiten des eisernen Vorhangs. Entsprechend fahrig wirkt dieses Buch nun. Es wimmelt von Wiederholungen, Widersprüchen und sprachlichem Ungeschick, das wahrscheinlich nicht auf das Konto der Übersetzer geht. Aber nach der Lektüre von „Bevor es Nacht wird“ gefriert jenes nostalgische Lächeln, mit dem man bisher noch die Che-Guevara- Poster betrachtete.

Reinaldo Arenas: „Bevor es Nacht wird“. Aus dem Spanischen von Thomas Brovot und Klaus Laabs. Edition dià, 304 Seiten, 28 DM.