"Im Augenblick bricht alles total weg"

■ Das Stadtforum debattiert über "Arbeitsplätze in Berlin" / Quintessenz nach zweitägigem Problemewälzen: Berlins vielzitierter Standortvorteil entpuppt sich mehr und mehr als ökonomische und ...

Das Stadtforum, oft als euphorische „Quatschbude“ verschrien, durchschreitet in Zeiten der Rezession ebenfalls das Jammertal der verlorenen Illusionen. Beim Thema „Arbeitsplätze in Berlin“, in dieser Runde schon mehrfach als Bereich mit Zukunftschancen debattiert, wird das Planungsgremium umdenken müssen. Der Grund: Die Geister, die man rief, kommen nicht, und Alternativen fehlen. Altes wurde vorschnell weggeräumt, Neues ist noch nicht in Sicht. Der beschworene Standortvorteil der Spreemetropole entpuppt sich in Wirklichkeit als ökonomische und politische Mär.

Der Technologiestandort Berlin, räumte Hans Heuer, Staatssekretär beim Senator für Wirtschaft, auf der 35. Sitzung des Stadtforums am Wochenende ein, biete mittelfristig kaum Chancen für junge Ingenieure und Manager. Nur rund 1,8 Prozent aller Beschäftigten seien derzeit in dieser Branche tätig. Im Unterschied zu Regionen wie etwa München oder Frankfurt/Main mit vernetzten Strukturen zwischen Forschung, Entwicklung und Produktion weise der High-Tech-Arbeitsplatz Berlin „Schwachstellen“ bei den Synergien und in der schnellen Verwertbarkeit der Produkte auf. Zudem mangle es der Stadt nach wie vor an Firmenspitzen, kommunikativen Infrastrukturen, Planungskonzepten und letztlich am Dialog zwischen dem Land und den Unternehmen.

Die Erwartungen bei der Ansiedlung innovativer Industrien hätten sich ebenfalls nicht erfüllt, so Heuer weiter. Im Gegenteil. Von 190.000 Industriearbeitsplätzen im Jahr 1990 existierten heute noch ganze 35.000. Und neue sind kaum in Sicht. Die Berliner Wirtschaft halte in wesentlichen Teilen nicht einmal den Konkurrenzen aus den nahen osteuropäischen Ländern stand. „Im Augenblick bricht alles total weg“, sagte Heuer und erinnerte, daß Unternehmen nach Polen, Tschechien oder Ungarn abwanderten, fänden sie doch dort billigere Produktionsbedingungen und zugleich qualifizierte Arbeitskräfte vor. Kritik an den Strategien der Unternehmen zur „Steigerung“ der Arbeitsplätze übte auch Klaus Ulbricht, Bezirksbürgermeister in Köpenick. Statt zukunftsorientierte Firmen und Produkte zu fördern oder problematische Arbeitsplätze zu stützen, flössen Subventionen in wenig arbeitsintensive Billiglohn-Bereiche. So investierte beispielsweise die Firma Samsung in Oberschöneweide für 70 Millionen Mark in hochautomatisierte Anlagen, die allein ungelernte Arbeitskräfte bedienten. Ulbricht: „Trotz einer Steigerung der Produktivität gab es keine Mark für Facharbeiter und Ingenieure. Die Intelligenz wandert ab.“

Auch die noch vor zwei Jahren favorisierten dezentralen Planungen am S-Bahn-Ring für neue Arbeitsstandorte scheinen obsolet: Die Profilierung Berlins als Industrie- und Dienstleistungsstadt habe mögliche Investoren durch Konzeptionslosigkeit und Planungsunsicherheiten „arg enttäuscht“, betonte Horst Kramp, Präsident der Industrie- und Handelskammer. Zum bestehenden Wettbewerbsnachteil wegen schlechter Verkehrsanbindung, teuren Arbeitsplätzen und Wohnungen sowie hohen Produktionskosten (der Berliner Strompreis liegt etwa 25 Prozent über dem in Westdeutschland) komme zusätzlich ein „unzureichend entwickelter Industrietransfer“. Die Planungen etwa für den Uni- und Techno-Park Adlershof für 15.000 Arbeitsplätze steckten noch in den Kinderschuhen.

Als kleinen Erfolg beurteilte Wirtschaftssenator Norbert Meisner im Stadtforum die 1992 beschlossene Flächensicherung von 21 Industriegebieten, die den drohenden Ausverkauf des produzierenden Gewerbes ins Umland bremsen konnten.

Ebenso wie Meisner verlangten die Stadtforumsmitglieder Hardt W. Hämer und Hartwig Berger, die Berlin-spezifischen Industriepotentiale zu sichern und durch innovative und ökologische Arbeitsplätze zu stärken. Rolf Lautenschläger