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"Zweite Arisierung"

■ Mahnwachen für Gedenktafeln: "Kempinski"-Hotels schmücken sich mit jüdischem Namen, den sie nicht verdienen

Samstag abend Kurfürstendamm/Ecke Fasanenstraße. Die Weihnachtsbeleuchtung glitzert. Vor dem „Bristol Hotel Kempinski“ stehen etwa 40 Menschen, darunter Jugendliche der jüdischen Gruppe „Meschula“, der Antirassistischen Initiative und dazwischen auch zwei Abgeordnete. Sie sind gekommen, um mit Fritz Teppich, 75, dagegen zu protestieren, daß sich die Hoteleigentümer seit 1977 mit einem Namen schmücken, der ihnen nicht zusteht. Und weil sie Fritz Teppich unterstützen wollen, der zusammen mit seinem Neffen Tom Kempinski seit 14 Jahren darum kämpft, daß endlich Gedenktafeln an alle Häuser kommen. Damit die wahre Geschichte der Firma nicht vergessen wird.

Fritz Teppich klebt neben die Eingangstür des Hotels ein Plakat mit seinem letzten Textvorschlag. Ein entschärfter Text sei dies, sagt er, ein „Kompromiß“, mit dem die Geschäftsleitung leben könne: 1937 wurde die renommierte Wein- und Restaurantfirma M. Kempinski & Co. „arisiert“. Familienangehörige mußten fliehen oder wurden ermordet. Jüdinnen wurden in der „arischen“ Kempinski GmbH unter P. Spethmann zu Zwangsarbeit gezwungen, bis zu ihrer Deportation in Vernichtungslager. 1953 übernahmen die Hotelbetriebs AG und P. Spethmann die Kempinski- Reste. 1977 erfolgte die Umbenennung in Kempinski AG. Aber auch dieses Plakat, auf das man erst zweimal blicken muß, um zu begreifen, daß das Hotel immer noch der Firma gehört, die es während der „Entjudung“ der Familie Kempinksi raubte, provoziert Hotelangestellte maßlos. Sie laufen heraus, drohen mit der Polizei. Und holen sie dann doch nicht. Diskretion ist weniger geschäftsschädigend.

Fritz Teppich kann ungehindert den endlosen Streit um die Gedenktafeln referieren. Der wurde Mitte September von der Düsseldorfer Hotelleitung einseitig beendet. Das Schicksal der Juden dürfe zwar nicht vergessen werden, schrieb der jetzige Vorstandsvorsitzende am 17. September an Fritz Teppich. Und: „Wir können es aber nicht akzeptieren, daß Sie unsere Gesellschaft in der Form von unsachlichen und falschen Anschuldigungen mit diesen Vorgängen in Verbindung bringen.“ Eine zynische Antwort sei dies, meint Teppich, wieder einmal ein Beweis dafür, daß an den „Judenverfolgungen immer nur die anderen Schuld hatten“.

Der Konzernvorstand von weltweit etwa 20 Hotels betreibe eine „Geschichtsklitterung“, sagt Teppich. Der Namensmißbrauch komme einer „zweiten Arisierung“ gleich. Empört ist er auch über die Haltung des Berliner Senats. Der ergreife einseitig die Position des Hotels, indem er die Auseinandersetzung um den Namen und die Gedenktafeln als „privatrechtliche“ Angelegenheit definiert. Zuletzt am 25. November. Eine kleine Anfrage beantwortete Wirtschaftssenator Norbert Meissner (SPD) so: „Das Schicksal der Familie K. verdient es, daß dieser Name für alle Zukunft erhalten und aus Berliner Sicht mit einem der führenden Hotels, gerade in dieser Stadt, verbunden bleibt.“ „Diese Antwort empfinde ich als eine Verhöhnung der Toten“, sagt Fritz Teppich, und ins Mikrophon ruft er: „Der plakative Philosemitismus ist nur eine goldübertünchte Seite des gewöhnlichen Antisemitismus.“ Irgendwann am späten Abend reißen Hotelangestellte das Erinnerungsplakat weg. Die „Bristol Hotel Kempinski“-Geschichte ist wieder unbefleckt. Anita Kugler

Wiederholung der Protestaktion jeweils ab 19 Uhr am 18.12. und am 8. und 15. Januar.

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