Schriften zu Zeitschriften
: Führte Geschlechts- verkehr durch

■ Gully, Schädling, Wildsau – Stasi und Literatur in „Text und Kritik“ Nr.120

Angesichts der ewig gleichen Geschichten von Manipulation, Verrat und Staatsterror mag es kaum verwundern, wenn sich allerorten Überdruß einstellt. Während die einen das Stasi- Thema auf eine Art politischen Aids-Test reduzieren wollen, klagen die anderen mehr Behutsamkeit im Umgang mit den Unterlagen – was zumeist meint: mit den Tätern – ein. Wieder andere tun die Stasi-Debatte mit einem ironisch gemeinten Hinweis auf die Tonlage der Auseinandersetzung ab, die überwiegend aus den miefigen Stuben protestantischer Pfarrhäuser zu stammen scheint.

Das jüngste Heft der Zeitschrift Text und Kritik, die just ihr 30jähriges Bestehen feiert, versammelt Beiträge von einem Dutzend Autoren, die sich vom Thema „Feinderklärung – Literatur und Staatssicherheit“ nicht haben schrecken lassen. Der Titel des Bandes reizt gleich zum Widerspruch, blendet er doch gerade das aus, was im Band beschrieben wird.

Das Verhältnis beider Metiers – Literatur und Geheimdienst – ist mit „Feindschaft“ nicht annähernd genau bezeichnet, wie unter anderem aus dem Beitrag von Joachim Walther und Gesine von Prittwitz hervorgeht. Die beiden Autoren gehören einer Forschungsgruppe an, die sich mit Hilfe der Akten aus der Gauck-Behörde darum bemüht, den Einfluß der Staatssicherheit auf die DDR- Literatur seit Mitte der siebziger Jahre zu erhellen. Dreißig bis vierzig Prozent der Mitglieder im Präsidium und im Zentralvorstand des Schriftstellerverbandes waren nach den Erkenntnissen der Arbeitsgruppe Zuträger – mitnichten Feinde – des Staatssicherheitsdienstes.

Zumindest genauso viele Autoren wurden jedoch auch bespitzelt. Die Verfasser des Beitrags geben im Anhang eine Übersicht über die betriebsinternen Namen der „Operativen Vorgänge“. Wenigstens dieses eine Mal durfte sich die Phantasie der Geheimpolizisten austoben, und so ist ein treues Zeugnis infantiler Schöpferkraft entstanden: „Gully“ (!) ist den Genossen bei Peter Gosse eingefallen, „Schädling“ bei Hans-Joachim Schädlich und „Ecke“ bei Gabriele Eckart. Spuren literarischen Grundschulwissens scheinen durch, wenn bei Sigmar Faust „Mephisto“ assoziiert wird. Ansonsten werden die Schriftsteller verächtlich unter „Besserwisser“, „Federkiel“, „Poet“, „Träumer“, „Schreiberling“ oder „Wildsau“ geführt – kein Ruhmesstück literarischer Produktivität.

Daß sich die Affinität des Spitzelapparats zur Literatur nicht allein auf den personellen Aspekt beschränkt hat, beleuchtet Marko Martin in seinem Beitrag über die Sprache der Stasi. Immerhin ist eine Unmenge Schrift überliefert – über 180 Kilometer wäre die Regalreihe, würde man die Ordner aneinanderreihen. Tatsächlich aber bilden diese Texte kein autonomes sprachliches Gebilde, sondern sind der verschärfte Ausdruck des gesamten DDR- Systems, schreibt Martin.

Welche Blüten die auf pseudoanalytische Distanz bedachte Spitzelsprache getrieben hat, illustriert er am Beispiel eines Observationsberichts: „Wolf Biermann führte mit einer Dame Geschlechtsverkehr durch. Später erkundigt er sich, ob sie Hunger hat. Die Dame erklärt, daß sie gern einen Konjak trinken würde. Es ist Eva Hagen. Danach ist Ruhe im Objekt.“ Der kurze Text dokumentiert nicht allein die Schwierigkeiten, mit einem toten, technokratischen Denk- und Sprachsystem durchaus lebendiges Geschehen zu erfassen, sondern umgekehrt auch, daß es schon weit genug verinnerlicht war, um jede noch so geringe Ahnung von der Absurdität dieser Sätze bei den Genossen zu unterdrücken. So mag es noch als der am meisten menschliche Zug erscheinen, daß die „Feinderklärung“ der Staatssicherheit nicht nur der Literatur im allgemeinen, sondern der Orthographie im besonderen galt.

Das Bild des MfS in der Literatur der DDR seit Anfang der fünfziger Jahre zeichnet der Essener Literaturwissenschaftler Hannes Krauss nach. In den früheren Werken, soweit sie in der DDR erscheinen konnten, spielt die Stasi als ein nach innen gerichteter Repressionsapparat keine Rolle. Ihre Tätigkeit wird, etwa wenn in Hermlins Novelle „Die Kommandeuse“ eine entlaufene KZ-Wächterin wieder verhaftet wird, als ein Akt funktionierender gesellschaftlicher Arbeitsteilung dargestellt. Daran änderte sich bis zum Anfang der achtziger Jahre kaum etwas – mit einer wichtigen Ausnahme.

Schon 1959 hatte Uwe Johnson in den „Mutmassungen über Jakob“ ein „literarisches Porträt der Staatssicherheit geschaffen, das durch die Akten der Gauck- Behörde noch lange nicht eingeholt wurde“, schreibt Krauss. Die „Mutmassungen“ konnten allerdings nur im Westen erscheinen. Im gleichen Jahr trifft sich Christa Wolf alias Margarete zum ersten Mal mit ihrem Führungsoffizier.

Die von Hannes Krauss provozierte Frage, warum der eine eher, die andere viel später und nur zögerlich benannt hat, was faul im Staate war, bleibt unbeantwortet. Es gibt natürlich Leute, die das Recht auf ein Urteil haben. Eine Äußerung über Mut und Versagen weist jedoch ohne Umweg zurück auf die moralische Kompetenz des Urteilenden. Günther de Bruyn hat, als er seine Stasi-Gesprächskontakte öffentlich machte, seine Perspektive auf glaubhafte Weise relativiert: „Zu einer Antwort auf die die Stasi-Debatte erst sinnvoll machende Frage, wie eine ungliebte Diktatur sich so lange zu halten vermochte, gehört nun auch ein Fingerzeig auf sich selbst“. Peter Walther

„Feinderklärung – Literatur und Staatssicherheitsdienst“, Text und Kritik, Heft 120, Oktober 1993, 117 Seiten, 22 DM