Rotlicht-Nazis aus der Provinz

In der Kleinstadt Schwedt an der Oder haben rechtsradikale Schlägerbanden das kriminelle Milieu erobert / Die Stadtverwaltung weiß von nichts  ■ Aus Schwedt Annette Rogalla

Fragen der Presse werden nur noch schriftlich beantwortet.“ Wer mit Peter Schauer, dem SPD-Oberbürgermeister von Schwedt, spricht, hört aus dem Ton seiner wütend zitternden Stimme heraus, daß etwas geschehen ist. Alles, was in den Zeitungen stand, soll falsch gewesen sein. Eine rechte Schlägerszene mit 100 bis 150 Mitgliedern existiert nicht. Bestenfalls eine Handvoll Rechtsradikaler, aber die terrorisieren doch nicht die Stadt. Schutzgelderpressungen? Davon hat OB Schauer, der gerade bei den Kommunalwahlen eine satte Zweidrittelmehrheit einfuhr, nie gehört. Überfälle auf polnische Besucher, Organisierte Kriminalität, Waffenhandel, Autoschiebereien? Hirngespinste.

Er könnte es besser wissen. Vor zwei Monaten warnte Uta Leichsenring, zuständige Polizeipräsidentin im 40 Kilometer entfernten Eberswalde, vor militanten Schlägertrupps von rechts. Seit Jahresbeginn sind 73 politisch motivierte Straftaten in der ehemaligen Chemiestadt, 120 Kilometer nordöstlich von Berlin, verübt worden. Sieben, acht Schlägerbanden sollen sich nach ihren Erkenntnissen gebildet haben, die vom politisch harten Kern der Neonazis rekrutiert werden. „Erste Anzeichen auf Schutzgelderpressungen liegen vor“, sagt Ute Leichsenring.

Die jungen Männer mit Bürstenschnitt sind gewissermaßen Bestandteil der städtischen Familie. Sie gehen seit Jahren direkt zum Oberbürgermeister und dessen Jugendamtsleiter. Ohne viel Federlesens durften sie sich den „HIT-Keller“ einrichten. Briefe an die Neonazis adressierte das Jugendamt an die „Nationalistische Jugend Schwedt-Freizeittreff HIT“. Mit den Negativschlagzeilen über die Jungrambos gerät Oberbürgermeister Schauer in Erklärungsnot. Besorgten Investoren muß er immer wieder versichern, „daß Schwedt keine braune Hochburg ist“. Immerhin liegt die Arbeitslosigkeit schon bei 20 Prozent. Und nun ist der größte anzunehmende Unfall passiert. Die auswärtigen Medien haben einen Störfall verursacht.

In der Stadtverwaltung weiß jeder, wo die Rechten sich treffen. Sie laufen abends in einer auf rustikal getrimmten Kneipe ein. Einer der Inhaber, Jürgen Echternach (Name geändert), war wie der Oberbürgermeister und die meisten leitenden Angestellten der Stadtverwaltung früher im Petrochemischen Kombinat beschäftigt. Man kennt sich aus mehr als zehnjähriger Zusammenarbeit. Im April 1990 eröffnete Echternach die Kneipe. Seitdem wird er die schlagenden Jungen nicht mehr los. Öfter ließen sie sich Platten mit Essen aus der Küche auffahren, soffen sich die Hucke voll und gingen, ohne zu zahlen. Zweimal versuchte der Wirt, sich ihnen in den Weg zu stellen. Als Antwort schlugen sie ihm jedesmal das Mobiliar ein. Bei einer weiteren dieser handgreiflichen „Mahnungen“ hätte er vor dem finanziellen Ruin gestanden. Vor drei Jahren beugte sich Echternach der Gewalt. Einige Monate lang reichte es ihnen, auf Kosten des Hauses zu speisen, dann verlangten sie zusätzlich Geld. Zuerst 100 Mark, dann 300, später 400 Mark die Woche, oft auch mehr. Echternach geriet in Zahlungsschwierigkeiten. Zu Himmelfahrt, im letzten Mai, verhandelte er mit dem Führer der Clique. Marcel K. ließ sich nicht beeindrucken. Um seine Forderungen zu unterstreichen, räumte er sämtliche Gläser aus dem Kneipenregal.

In dieser Nacht fuhr der schwer betrunkene 22jährige Kahlkopf mit seinen Kumpel zur Disco ihres Freundes Walter (Name geändert, d. Red'in). Unterwegs kam Marcel mit seinem Moped ins Schleudern und geriet direkt unter das Auto eines Kumpels. Marcel K., der mächtigste Nazi-Schläger aus Schwedt, starb am Unfallort. Für eine Weile hörten die Erpressungen auf. Dann terrorisierten die hinterbliebenen Schläger das Personal des Gastwirts. Vor zwei Monaten legten sie dem irischen Kellner eine 7.65er Patrone auf die Theke: „Du weißt, was das bedeutet.“ Eine Morddrohung, die wirkte: Der Ire verließ mit seiner ebenfalls irischen Kollegin die Stadt. Auf eine formelle Anzeige verzichtete er. Aus Angst vor Rache.

Zweimal sind die Kneipeninhaber zur Polizei gegangen. Dem örtlichen Polizeichef Jankow und seinem Stellvertreter Klemm haben sie Morddrohung, Erpressungen und immer wiederkehrende Schlägereien geschildert. Die Ordnungshüter zuckten die Schultern und rieten, die vorgesetzte Polizeipräsidentin in Eberswalde zu informieren. „Aber wenn man schon nicht der örtlichen Polizei vertrauen kann, dann lohnt es sich nicht, die nächsthöhere Stelle um Hilfe zu bitten“, resigniert Echternach und äußert die Vermutung, daß die kurzgeschorenen Erpresser und Randalierer eher mit Wohlwollen bei einigen örtlichen Polizisten rechnen können.

Abends sitzt Jürgen Echternach mit zerfurchtem Gesicht in sich zusammengesunken am letzten Tisch seiner Kneipe und beäugt zerfahren jeden Gast, der hereinkommt. Seit zwei Wochen treiben sie ihn wieder. Vier Skinheads pöbeln herum. Der Wirt fühlt sich permanent von ihnen beobachtet. Mit seiner Frau spricht er häufig darüber. Aber wie gegen die Bedrohung ankommen? Nein, die Polizei hat er nicht informiert.

Die drei Typen, die dem Kellner die Patrone hinlegten, kennt er namentlich. Sie kommen aus dem Umfeld der verbotenen Nationalistischen Front (NF), ebenso wie diejenigen, die ihn derzeit belauern. Einer von ihnen, Axel B. (Name der Red'in bekannt), ist der Chef einer rechten Schlägerclique. Er ist kein unbeschriebenes Blatt. Gegen den 18jährigen ermittelt die zuständige Staatsanwaltschaft wegen Verbreitens faschistischen Gedankenguts. Sein Kumpel Udo K. (Name bekannt) soll wegen Landfriedensbruch, Körperverletzung und Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen vor Gericht. Seit einem halben Jahr ist die Anklageschrift formuliert, das Verfahren jedoch noch nicht aufgerufen.

Kurz nach der Wende faßte in Schwedt die Nationalistische Front (NF) Fuß. Seitdem die NF am 27. November 1992 verboten wurde, nennt sie sich in Schwedt Sozialrevolutionäre Arbeiterfront (SrA). Sie gibt Flugblätter heraus, mit Steckbriefen ihrer „Feinde“ aus dem linken Lager. Mühelos konnte sich die SrA an einem Gymnasium etablieren. Dort wird die Hauspostille Fräch herausgebracht. Den inneren Kaderkreis der SrA schätzt der Verfassungsschutz auf nicht mehr als ein halbes Dutzend Personen. Doch ihr Einfluß ist enorm.

Um den Dingen auf die Spur zu kommen, läßt Polizeipräsidentin Uta Leichsenring am Wochenende verstärkte Streife in Schwedt fahren. Dann sind nachts etwa vierzig Beamte im Einsatz. Bislang zeichneten sich Polizei, Politiker und die Fachdezernenten in der Stadtverwaltung jedoch durch ihre provokante Passivität aus. Verschiedene Szenen konnten in Ruhe ihre Lust entdecken, sich voll zu entfalten. Die Neonazis kommen überall gut an. Berührungsängste zum Rotlichtmilieu existieren nicht.

Einer, der sich in beiden Szenen gut auskennt, ist Walter. Er meint, auf dem Weg nach oben zu sein. Einsneunzig groß, ein Kreuz wie eine Eichentür, pechschwarz gefärbt das Haar. Viel Gold an Ohr, Arm und Hals. Der tiefblaue 400er SE Mercedes mit Ledersitzen parkt vor der Tür. Manchmal hält sich Walter für ein Schwein. Dann, wenn er anderen sagt, wo es in der Branche langgehen soll. Wie er das meint? Die Antwort lächelt er solariumgebräunt weg. Na ja, Geschäfte und so.

Ganz legal betreibt Walter eine Disco, eine Bar, ein Restaurant, zwei Bierbuden, einen Kiosk und eine kleine Pension. Reisende können hier nicht buchen. Vier Frauen haben sich auf Dauer dort eingemietet. Sie sind jung und betonen rasch, schon 18 zu sein. Sie kommen aus Polen, Vietnam, Deutschland und der Tschechischen Republik. Abends stöckeln sie in tiefgeschnittener Robe in Walters Bar und bieten Handlungsreisenden Tänze und mehr an. „Die Geschäfte laufen prima.“ Walter ist's zufrieden. Über seine Nebeneinnahmen plaudert er nicht gerne. Der Mercedes, das Haus, das Gold, diesen Reichtum haben ihm die Damen mit dem 120-Mark-Tarif nicht allein gebracht. Vielleicht sind auch noch ein paar Waffen im Spiel? Er sei nicht groß im Geschäft, aber er verkauft, „was sich so ergibt“. Denn in Restaurant, Disco und Bar sind Leere und Langeweile eingezogen. Einheimische kommen ohnehin nur selten zu ihm. Erstens gehen die Schwedter kaum aus. Und dann ist da noch Walters Ruf.

Hinter vorgehaltener Hand sagen ihm seine Konkurrenten vom Stammtisch der Gastwirte nach, er schicke glatzköpfige Schläger zum Abkassieren herum. Aber Beweise haben sie keine. Walter leugnet nicht, daß er die „Jugendlichen“, wie er sie nennt, kennt. Auch die beiden mit der Patrone. „Das war doch nicht bös gemeint. War bloß ein Dummerjungenstreich.“ Zwei Altglatzen jobben in seiner Bierbude. Ja, und manchmal bringen sie ihm auch kleine Pitbulls vorbei, jene Kampfhunde, für die in Hessen ein Waffenschein beantragt werden muß. Die Beißköter sind begehrt. „Nicht unter 2.000 geht einer bei mir weg.“

Walter ist Newcomer im Rotlichtmilieu. Früher war er Kellner. Er ist stolz darauf, daß er das Sagen hat „und nicht irgendein Mafioso aus Berlin“. Zweimal kamen welche aus der Hauptstadt angerauscht „und wollten den dicken Mann markieren“. Doch Walter war schneller. „Ein Tastendruck auf das Funktelefon, und es dauerte keine fünf Minuten, bis Hilfe hereinsprang. Zwanzig, dreißig Beamte in Kampfanzug vom Bundesgrenzschutz kamen und täuschten eine Razzia vor. So schnell konnten die Kerle nicht gucken, wie die ihnen die Knarren aus der Hose gezogen hatten. Dann hatte man sie laufenlassen.“ Die guten Kontakte zu BGSlern seien ihm „zugeflogen“, sagt Walter. „Was kann schlimm daran sein, wenn Deutsche Deutschen helfen?“ Die flotte Einsatzlust ihrer Beamten scheint den Vorgesetzten nicht entgangen zu sein. Vor drei Monaten ließ das BGS-Kommando Berlin in eigener Sache ermitteln. „Bislang haben wir noch kein Ergebnis bekommen“, sagt ein BGS- Beamter. Den heißen Draht zum BGS scheint auch Hans-Joachim Hildebrandt, Rechtsdezernent im Rathaus, zu kennen. Aber: „Wenn Sie mich so fragen, kann ich nicht offen antworten.“

Für weniger brenzlige Lagen hält sich Walter zwei Bodyguards. „Gut ausgebildete Kämpfer. Polen, für die sind 1.000 Mark viel Geld.“ Walters Bordell ist illegal, denn in Städten unter 50.000 Einwohner darf in Brandenburg kein Eros-Center genehmigt werden. Folglich mußte Ordnungsamtsleiter Volker Schirg den Antrag auf das Eros-Center ablehnen, den Walters Partner stellte. Gleichzeitig signalisierte er eine stillschweigende Duldung. Bedingung, so Walter: „keine Drogen, die Frauen müssen freiwillig arbeiten und jede Woche ärztlich untersucht werden, kein Waffenhandel, keine Toten, kein Streß mit der Konkurrenz aus Berlin“. Daß mit dem BGS bereits „Sicherheits-Absprachen“ liefen, soll der Ordnungsbeamte gewußt haben.

Verhindern konnte das Stillhalteabkommen nicht, daß sich Kriminalität und Rechtsradikale paaren. Was die Stadtpolitiker falsch gemacht haben? Ordnungsamtsleiter Volker Schirg: „Uns sind ein paar Regiefehler unterlaufen. Aber wir kriegen Schwedt wieder in den Griff.“ Bis dahin kann noch viel passieren.