Märchenhaft -betr.: "Facelifting am Bahnhofsvorplatz", taz vom 8.12.93

“Facelifting am Bahnhofsvorplatz“, taz vom 8.12.

Die Fürsten haben einstimmig beschlossen: Bebauung des Bahnhofsvorplatzes fünfgeschossig! Zwar sind die Fürsten völlig abgebrannt und haben keinen Pfennig Geld auf der Naht. Aber das macht nichts, denn die Zauberer – die sogenannten Investoren – haben schon ganz früh mit den Scheinchen gewunken! Je breiter, je höher, je länger, desto mehr kommt natürlich aus dem Grundstücksverkauf in die Schatulle! Es ist ja ein Filetstück! Und von den Talern kaufen sich die Fürsten dann Bäume und pflanzen sie vor ihr Überseemuseum.

Da laufen dann täglich kaum mehr als 400 Personen über den Platz, weil die Postkutschenboxen auch wegkommen, aber Bäume können Stadtplaner und Architekten immer besonders schön auf Pläne malen. Von dem Rest des Geldes kaufen Sie dann für die täglich 100.000 Nutzer des Bahnhofsvorplatzes neue Würstchenbuden, Fahrradständer und indischen Granit! (...) Das fünfgeschossige Schloß auf dem Bahnhofsvorplatz – so hat der Baumeister gesagt – muß die Raumkanten der umliegenden Bebauung aufnehmen. Nun ja, es wird daher ein bißchen groß, mit 50 m Tiefe und über 100 m Länge wird es vermutlich eines der größten und wuchtigsten Bauwerke Bremens werden. Aber das wollen die Fürsten ja gerade: ein „Bremen-Signal“, das die Besucher empfängt, wenn Sie ankommen (...)Groß, teuer und wuchtig, aber nicht selbst bezahlt!

Zwar haben Sie noch keinen Nutzen für Ihr Schloß, aber auch das wird sich finden! Schön wäre natürlich für diese Situation ein Haus für alle Bürger, z.B. eine Schule für das erwachsene Volk, etwas Kulturelles wie eine Bibliothek, eine große Staatliche Galerie für die vielen Bremer Künstler! Aber das geht nicht, weißt Du! Erstens braucht man dafür nicht so einen großen Klotz und zweitens haben die Fürsten ja kein Geld! Die noch Geld haben und die das Gebäude bauen – die sogenannten Investoren – wollen natürlich auch wieder viel Geld für die Vermietung reinbekommen. Na ja, und da gibt es natürlich so einige Interessenten, die sich immer gern in Bahnhofsnähe ansiedeln und die hohe Miete bezahlen können. (...) Ein Bebauungsverfahren mit Bürgerbeteiligung? Nein, das gab es früher noch nicht! Was sagtest Du, Kind? Was mit dem Bahnhofsvorplatz geworden ist? Nun ja, der ist verschwunden! Carsten Schnoor