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■ Stan Brakhage im Eiszeit

„Reflections on Black“ Abb.: Oxford University Press

Wie aus dem 19. Jahrhundert herübergespült war Stan Brakhage unter den amerikanischen Experimentalfilmern der 50er, niemandes Epigone, ein genialisches Waisenkind. Als Drop-out vom Dartmouth College in Colorado zog er zunächst mit einer kleinen Theatergruppe durch die Lande, und ein bißchen theatralisch sind selbst seine abstraktesten Filme immer geblieben. „Reflections on Black“ (1955) zeigt drei Treppenepisoden sexueller Frustration eines blinden Mannes, die mit einem Messer direkt in das Zelluloid eingekratzt sind. Von diesen flackernden Kritzeleien war es nicht weit zum Abstrakten Expressionismus, und so traf Brakhage in New York auf Willem de Kooning und seine wilden Weibsen. Im Laufe der Jahre suchte Brakhage nach immer neuen Wegen, Filmbilder unter Umgehung des sortierenden Intellekts mit dem menschlichen Nervensystem zu vernetzen. Heute ist besonders eine hierzulande sträflich unbekannte Angelegenheit namens „The Act of Seeing with Ones Own Eyes“ anzupreisen, ein kurzer Film über das Totsein, den Brakhage 1972 in einer Morgue gedreht hat. Friedlich, ohne Ton, in ruhiger Abfolge werden verschiedene Sektionen von Leichen gezeigt. Unspektakulär und trotzdem seltsam anrührend ist zu sehen, wie jemandem die Kopfhaut über das Gesicht gezogen wird, eine Person verschwindet. Die kleinen braunen Hände einer alten Frau sind Brakhage ebenso lieb wie die geröteten Hoden eines etwa vierzigjährigen Mannes. Freunden des Splatter-Films oder der Morgue-Gedichte Gottfried Benns sei abgeraten. Brakhage sieht den Menschen nicht als Krone der Schöpfung, aber auch nicht enttäuscht als ihr Gegenteil. Trotzdem gelingt es ihm, mit den Leuten, die hier vermessen, aufgeschnitten, zugenäht und zugedeckt werden, gut Freund zu sein. Natürlich interessiert er sich für Textur und Licht: wie dunkel es wird, wenn man unter einen Rippenbogen taucht, wie gut das Herz geschützt ist, wie blau die Füße einer Drogentoten sind. Mitunter filtert er die Deckenbeleuchtung weg; dann liegt die Morgue im Dämmerlicht wie ein Schlafsaal. Der Film ist Teil einer sorgsam zusammengestellten Reihe zum Thema „Tod im Kino“, in der von „Army Medicine in Vietnam“ über „J'accuse“ bis zu „Ein Tag im Sterben von Sarajevo“ verschiedene Versuche gezeigt werden, dem Ende filmisch näherzukommen. Mariam Niroumand

Heute, 19 Uhr im Eiszeit-Kino, Zeughofstr. 20, Kreuzberg

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