■ Ein Erfolg der PDS: Das Ärgern der West-Roßtäuscher
: Der Osten sieht rot

Der Osten wählt nicht rot, der Osten sieht rot. Und der Westen blickt kaum noch durch. Während die einen die Wiederauferstehung der DDR in einem Bundesland befürchten, den roten Adler Brandenburgs schon als Vorboten des zurückkehrenden Gespenstes ansehen, halten die anderen den Aufwind der PDS für eine völlig normale Abwehrreaktion. Und die versprengten Romantiker aller K-Gruppen träumen bereits von einer von Polen über Italien bis nach Ostdeutschland neuformierten Linken.

Vorsichtig werden im Andeutungsnebel schon mal geistige Brücken zur PDS gebaut. Sie erscheint ganz allmählich als organisierter Beweis dafür, daß es ihn doch gegeben hat, den besseren deutschen Staat.

Gewiß: Dieser Wahlerfolg war absehbar. Es ist der Sieg der Verdrängung über die Verantwortung. Die Menschen in den fünf neuen Bundesländern haben heute zweifellos andere Sorgen als die ungeklärten Fragen von gestern. „Vorwärts im Vergessen“ heißt deshalb der Marschsong der PDS. Die ewige Stolpe-Diskussion und die faule Brandenburger Toleranz haben die Apparatschiks von einst wieder politikfähig gemacht. Hinter einen IM „Sekretär“ paßt nunmal ein IM „Notar“. Und Friedrich Schorlemmer, der offenbar vor lauter Ehrung seine Gedanken nicht mehr halten kann, empfindet die entstehende Wärme bereits als das nahende Freudenfeuer. Kurzum oder bei entsprechend viel Kutzmutz: Mit einer Stasiverpflichtung und lupenreiner Nomenklaturkaderentwicklung kann man heute getrost wieder für politische Ämter kandidieren. Es gibt kein Maß für Schamfristen.

Doch ebensowenig wie einem Heitmann gestattet wurde, das Kapitel „Nationalsozialismus“ einfach ad acta zu legen, darf kein so leichtfertiger Schlußstrich unter das Kapitel „Realsozialismus“ zugelassen werden. Sogar der ehrenwerte PDS-Vorsitzende bekommt trotz der vielzitierten roten Socken langsam kalte Füße, wenn er seine Partei davor warnt, die DDR-Verklärung nicht auf die Spitze zu treiben. Unheilahnend spürt er, daß ihm dann nicht nur die Rotkäppchen-Korken, sondern wegen der unerfüllbaren Erwartungen der ganze Laden um die Ohren fliegen kann.

Der innere Zustand begründet äußeres Mißtrauen. Viele Reformkräfte haben die SED bereits in turbulenten Zeiten verlassen. Spätestens als klar war, daß diese nicht aufgelöst und ein wirklicher Neuanfang gesucht wird, sondern der Weg der inneren Erneuerung durch Umbenennung und mit Beibehaltung der Strukturen, Mitglieder und des Vermögens.

Die PDS ist deshalb kein linker Stachel in der offenen deutschen Einheitswunde. Allenfalls ein brüchiges Konglomerat aus Bürgerlichkeit, linker Sozialdemokratie, unaufgeräumten Traditionsecken und ökologischer Spielwiese vorm renovierten Liebknechthaus. Nachdem die Westausdehnung gescheitert, die Vorfeldorganisation der „Komitees für Gerechtigkeit“, erlahmt ist, hat die Partei der Selbsterhaltung die führende Rolle der Ost- und Protestpartei angenommen. Daraus ergibt sich die Wechselwirkung: Wenn es dem Osten schlecht geht, geht es der PDS gut. Eine Art Umkehrosmose der deutsch-deutschen Vereinigung. Die PDS hat Gespür für Not und Verdruß, doch leider wenig Kompetenz für die nötigen Reformschritte. Bedient wird das vertraute Eingabeverhalten der DDR-Bürger, indem der Unmut gesammelt und das Abgabegefühl der Erleichterung vermittelt wird.

Da niemand mit der PDS koalieren will, treibt sie CDU und SPD verstärkt in große Koalitionen. Durch das Brandenburger Kommunalwahlergebnis ermutigt, nun mit aller Kraft in den Bundestag zu kommen, wird sie – wenn das gelingt – die mögliche Reformperspektive Rot-Grün und damit einen Machtwechsel in Bonn eher verhindern. Genau dieser Anteil könnte 1994 für eine stabile Regierungsmehrheit fehlen.

In einem ist die PDS der Kohl- Partei gleichwertig. Auch sie nährt den ostdeutschen Instantglauben, daß nur eingerührt werden muß, was sofort gelöst sein soll. Auf die leeren Versprechungen der CDU werden die hohlen Forderungen der PDS gepflanzt. Arbeit her! – steht geschrieben. Doch woher? Es kommt der Versorgungsmentalität im Osten entgegen, daß „die da oben“ das Bäumchen zu schütteln haben, damit unten genügend abfällt. Der Kampf der Braunkohlekumpel um ihre Arbeitsplätze wird dann so organisiert, als ginge es um die Planerfüllung des Politbüros, daß bis zum Jahre 2030 alle Braunkohlevorkommen zu nutzen sind, selbst wenn das letzte Lausitzdorf weggebaggert werden muß. Oder nehmen wir das überzeugende Plakat: Ohne uns – Motiv Blauhelm auf Grabkreuz. Man traut seinen Augen nicht. Ja, ist die PDS über Nacht zum Hort der Wehrdienstverweigerer geworden? War es nur ein Traum, daß sie der Mehrzahl ihrer Genossen das Studium erst durch dreijährige NVA-Verpflichtung ermöglichte, daß an den Hochschulen die Eifrigsten Reserveoffiziere waren, daß sie den Wehrkundeunterricht zum Pflichtfach an den Schulen machte? Dieser schnelle Gesinnungswechsel muß erhellt werden! Nicht nur, ob jemand peinliche Berichte über seine Kollegen oder belauschte FDJ-Gruppen geschrieben hat.

„Unsere Menschen“ hätten die Nase voll, sagt die PDS und holt sie dort ab, wo etliche stehengeblieben sind – bei den geplatzten Illusionen, daß sich die Vorteile des Westens mit der kostenlosen und kollektiven Rundumversorgung des Ostens verbinden lassen. Deswegen wird der Kommunalwahlkampf mit bundespolitischen Themen geführt. Die Forderungen: Arbeit für alle, Entschädigung vor Rückgabe, bezahlbare Mieten treffen ins Schwarze. Sie haben nur den Fehler, daß sie nicht dort durchsetzbar sind, wo die PDS sie stellt. Die Methode ist alt und erprobt. Es werden Parolen geklebt, an deren Umsetzung die Abteilung Agitprop selbst nicht glaubt. Die Geleimten wissen das meist und hoffen, damit die westdeutschen Roßtäuscher am besten ärgern zu können.

Ein Trugschluß, der sich durch alle Kommentare zieht, sollte allerdings ausgeräumt werden. Nicht die PDS hat den rechtsradikalen Protest in Brandenburg verdrängt, sondern die Rechten sind gar nicht groß angetreten. Ihre Stärke liegt, im Gegensatz zur PDS, mehr in der Anonymität als in der Kleinarbeit. Erst die Land- und Bundestagswahlen werden das wirkliche Ausmaß zeigen. PDS und Reps dürften sich da eher gegenseitig hochschaukeln.

Eines hat der Wahlerfolg der PDS auf jeden Fall gebracht: eine Menge Publicity. Und da der politische Unterhaltungswert weit über dem politischen Entwurf steht, wird die Brigade Gysi im unermüdlichen Einsatz für die Fernsehzuschauerdemokratie keinen Talk im Turm oder Keller auslassen, auf kalten und heißen Stühlen sitzen, jeden Bio-Bahnhof mitnehmen und, wenn es die Herzen der WählerInnen erreicht, sogar ihre Hüften bei Tutti-Frutti schwingen. Falls diese Sendung noch mal kommen sollte. Was bei der PDS schließlich auch nicht gewiß ist. Werner Schulz

Abgeordneter für Bündnis 90 im Bundestag