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„Zehn Tage sind ein ganzes Leben“

■ In Jericho schloß gestern aus Protest das Büro der Fatah

Jericho (taz) – „Das erste, was wir nach dem Handschlag von Arafat und Rabin gemacht haben“, sagt Dschamal Safi, einer der sieben Chefs der Fatah in Jericho, „war die Eröffnung unseres Büros.“ Heute, am 13. Dezember, dem Tag, an dem die Menschen in Jericho den Beginn ihrer Autonomie feiern wollten, schließen die PLO-Leute ihr Quartier wieder. Der symbolische Akt soll zeigen, daß die Verschiebung hier nicht gelassen aufgenommen wird. „Zehn Tage sind nicht viel“, hatte Arafat in einer Presseerklärung gesagt. „Zehn Tage sind ein ganzes Leben“, sagt Dschamal Safi.

Die Verschiebung verstärkt den Unglauben an mögliche Veränderungen. Die Geschäfte werden für mehrere Stunden bestreikt. In großen Trauben stehen die Männer vor den geschlossenen Läden und warten. Sei es auf ein Interview, daß sie den vergeblich angereisten Kamerateams aus aller Welt geben wollen. Sei es darauf, daß doch noch etwas passiert. Umsonst – die Nachricht von 40 palästinensischen Polizisten, die heute über die Jordan- Brücke kommen sollen, „ist eine große Lüge“. Abd-el-Karim Sidr, ebenfalls ein Kopf der Fatah in Jericho, erklärt den erwarteten Einzug palästinensischer Soldaten trocken. „Das sind Männer aus Jericho, die zurückkommen, weil sie ihre Ausbildung in Jordanien beendet haben. Mit einem Zeichen für uns hat das nichts zu tun.“

„Rabin will den Frieden“, sagt Safi, „aber welchen Frieden?“ Um den großen Platz von Jericho fahren wieder und wieder schwerbewaffnete Militärwagen. Gab es sonst nur ein Fahrzeug mit israelischen Soldaten, sind es heute gleich sechs. Schon am Vortag probten sie ihre Aufgabe. Sie verhinderten eine kleine Parade palästinensischer Kinder, die für den großen Tag üben wollten.

Seit der Unterzeichnung des Abkommens am 13. September hat sich in Jericho eine neue Redewendung entwickelt: „Wenn Arafat kommt...“, dann, ja dann soll sich alles ändern. Dann wird man sich endlich eine Satellitenantenne leisten, dann wird man die Heizung in Ordnung bringen, und man wird sich um all die Versäumnisse der letzten Zeit kümmern. „Wenn Arafat kommt...“ Der Satz steht gleichermaßen für die Hoffnungen der Leute, wie auch für deren Unglauben, daß sich jemals etwas ändern könnte. Julia Albrecht

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