Warnung vor dem neuen alten Imperium

Der Wahlerfolg des Ultranationalisten Wladimir Schirinowski in Rußland macht die Regierungen der Nachbarstaaten nervös. Sie erwarten Sicherheitsgarantien von Europa und der Nato.

Andrzej B. arbeitet in einer Warschauer Firma, die mit Immobilien handelt. Die Frage, ob er schon mal überprüft hat, ob seine Grundstücke früher einmal in den Grenzen des Zarenreiches lagen, nimmt er durchaus ernst: „Unsere Kunden machen sich wirklich Gedanken darüber“, meint er nachdenklich. Die neue Nachdenklichkeit hat ihre Ursache im Wahlsieg der russischen Ultranationalisten, deren Führer Wladimir Schirinowski eine Rückkehr zu einem großrussischen Imperium in den Grenzen des Zarenreiches postuliert.

Polens Zeitungen sind seit Sonntag voller Schirinowski-Zitate, die bestens dazu angetan sind, Ängste vor einer erneuten Aufteilung Polens zwischen Deutschland und Rußland – wie im 18. Jahrhundert oder nach dem Hitler-Stalin-Pakt – heraufzubeschwören. Schließlich strebe Schirinowski, so entnehmen Polens Zeitungsleser ihrer Presse, auch eine gemeinsame Grenze mit Deutschland an.

Angesichts von Fernsehbildern, in denen Schirinowski vor deutschen Neonazis auftritt, und Analysen von Rußlandexperten, die darauf hinweisen, daß Rußlands Faschisten besonders unter Militärs und Wehrdienstleistenden große Sympathien genießen, kann es kaum verwundern, daß die Zustimmung zur Jelzinschen Verfassung in den Kommentaren in den Hintergrund getreten ist. „Polen braucht ein demokratisches Rußland“, findet etwa der Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses im polnischen Parlament, Bronislaw Geremek. Jerzy Nowakowski, ein Experte im Warschauer Außenministerium, vergleicht Schirinowski dagegen mit Stanislaw Tyminski, der vor drei Jahren bei den Präsidentschaftswahlen den zweiten Platz erreichte – ebenfalls mit einer Mischung aus kommunistischem und nationalistischem Populismus. Der entscheidende Unterschied liege nur darin, so Nowakowski, daß Tyminski im Gegensatz zu Schirinowski nie Rußlands Grenzen verändern wollte.

Polens Außenminister Andrzej Olechowski, der sich zur Zeit in Washington zu Gesprächen aufhält, ist indessen der Ansicht, das Machtvakuum, das sich nach dem Zerfall der Sowjetunion in Osteuropa aufgetan habe, könne leicht von Rußland ausgefüllt werden, was wiederum „fatale Folgen für die gesamteuropäische Sicherheit haben würde“. Olechowski hofft, in Washington konkretere Zusagen für einen Nato-Beitritt Polens zu bekommen.

Polens Drang in die westeuropäischen Sicherheitsstrukturen dürfte durch das Wahlergebnis in Rußland nur noch heftiger werden. Bronislaw Geremek: „Jetzt gibt es neue Argumente für einen Beitritt Polens in die Nato.“ Dahinter steht die These, daß alle Zurückhaltung des Westens gegenüber den imperialen Ambitionen Rußlands den Sieg der Faschisten nicht habe verhindern können. Deshalb müsse der Westen jetzt seine Linie ändern.

Ein Zusammenrücken bahnt sich auch in der Ukraine an, da sowohl Präsident Krawtschuk als auch die nationale Opposition Jelzin stets unterstützt haben. Dmitro Pawlytschko, der Vorsitzende des Parlamentsausschusses für Auswärtige Angelegenheiten in Kiew, sagte der Tageszeitung Kiewskije Wedomosti: „Ich glaube, viele im Westen verstehen jetzt unsere Position in Abrüstungsfragen besser.“ Das Parlament in Kiew hatte entschieden, daß die Ukraine zunächst nicht alle Atomwaffen an Rußland abtritt. Der stellvertretende Außenminister der Ukraine, Boris Tarasjuk, forderte eine schnelle Lösung der Probleme der Schwarzmeerflotte. Der ukrainische Präsident Leonid Krawtschuk hatte die Flotte an Rußland abgetreten, was zu starken innenpolitischen Protesten geführt hatte.

Im weißrussischen Minsk reagierten die Zeitungen, Premier und Präsident wie üblich in solchen Fällen mit beredtem Schweigen. Lediglich die relativ unabhängigen Zeitungen kommentierten die Wahlen und verliehen der im Land herrschenden Untergangsstimmung Ausdruck: Wenn Schirinowski Premier werde, brauche er Weißrußland gar nicht zurückzuerobern, schrieb eine Minsker Tageszeitung – es genüge, einen Gouverneur einzusetzen. Die für März geplanten Wahlen würden wohl in Weißrußland ähnlich ausgehen wie in Rußland, nur an Stelle Schirinowskis werde der dubiose „Graf Pruszynski“, ein polnischstämmiger Emigrant, der als politischer Wunderheiler auftritt, nach den Kommunisten den zweiten Platz einnehmen.

Die unabhängige Tageszeitung Zvjazda alarmiert in ihrem Kommentar: „Der Siegeszug der Rot- Braunen bedeutet das Ende der weißrussischen Unabhängigkeit.“ Und ein Berater von Präsident Schuschkjewitsch, der Jelzin stets unterstützt hat, wird mit den Worten zitiert: „Das Wahlergebnis ist grauenhaft.“ Klaus Bachmann, Warschau