Krieg der Wörter

■ Die Säuberung der jugoslawischen Sprachen aus der Sicht der Übersetzerin

Abends, wenn Marica Mihaljevic über Satellit die kroatische „Tagesschau“ von Radio Zagreb sieht, hört sie neudings völlig neue Begriffe. Ebenso geht es ihr, wenn sie ein kroatisches Rechtshilfeersuchen auf den Tisch bekommt. „Die kroatische Sprache wird bereinigt“, stellt die vereidigte Übersetzerin in ihrem Büro am Wall fest.

Hatten sich zu Zeiten des jugoslawischen Vielvölkerstaates jede Menge deutscher, englischer, türkischer und serbischer Wörter im landläufigen Kroatisch eingenistet, werden diese mit dem eisernen Besen wieder ausgetrieben und durch „neue“ alte kroatische Begriffe ersetzt. Bürgerkrieg und neue nationale Suchbewegungen finden im Krieg der Wörter ihre Entsprechnung. Und in den Schulbüchern, Fernsehsendungen und Zeitungen steht ein Kroatisch wieder auf, das man lange nicht hörte in Zagreb.

Eine jugoslawische Nation, meint Frau Mihaljevic, gab es nur in den Köpfen der Kommunisten. Sie schrieb unter Angaben zur Person immer Nationalität: kroatisch, Staatszugehörigkeit: jugoslawisch. Ebensowenig gab es „Jugoslawisch“ als Sprache. Auch wenn die Zentrale in Belgrad einiges dafür tat, auch wenn Langenscheidt sein Wörtenbuch Deutsch -Serbokroatisch nannte (mittlerweile vom Markt). Es gab ein großes Mischmasch an Sprachen in Jugoslawien, aber jeder konnte jeden verstehen, wenn er wollte. Denn slawische Sprachen sind sie alle, Kroatisch, Serbisch, Mazedonisch, Slowenisch.

Gewisse deutsche Brocken wurden in den letzten Jahren Jugoslawiens schon gar nicht mehr übersetzt: Aufenthalt, Duldung, Lohnsteuerkarte zum Beispiel. Damit ist jetzt Schluß: Radio Zagreb sendet allmorgendlich Spracherziehung, und wenn heute in Bremen ein Kroate einen nationalistischen Kroaten trifft, kann es schon mal zu Zurechtweisungen kommen: „Kannst du das nicht auf Kroatisch sagen?“ Ja, gelegentlich spricht Frau Mihaljevic so zu ihrem Mann.

Wenn überhaupt irgendwo in Jugoslawien aus mehreren Sprachen eine neue entstand, galt das für Bosnien. „Bosnisch“ ist ein Mix aus Serbisch und Kroatisch (die sich etwa so zueinander verhalten wie Spanisch und Portugiesisch), mit türkischen, albanischen und Roma-Einsprengseln. Diese Mischung vollzog sich allerdings nur auf der Ebene des Sprechens. Bosnisch als Schriftsprache gibt es nicht - man muß dazu wissen, daß die Serben kyrillisch schreiben. die Kroaten die lateinische Schrift benutzen.

Marica Mihaljevic wird allgemein als Sprachgenie gehandelt. Neben Kroatisch ist sie vereidigt für Serbisch, Slowenisch und Mazedonisch und wird von Polizei und Gerichten in ganz Norddeutschland zu Rate gezogen. Am Umfang ihrer Arbeit, sagt sie, habe sich seit dem Bürgerkrieg auf dem Balkan nicht viel geändert. Seit sich bei den Kosovo-Albanern herumgesprochen habe, daß Bremen ein liberales Land sei, gäbe es hier öfter mal Verstöße gegen das Verbot, bestimmte Kreisgrenzen zu überschreiten. Darüberhinaus gehörten heute zu ihrer „Klientel“ erheblich mehr Bosnier als früher.

In ihrer Freizeit hat die Übersetzerin selten frei. Ihre Fähigkeiten sind keineswegs nur vor Gericht gefragt. Unter Flüchtlingen aus dem ganzen Ex-Jugoslawien wird ihre Telefonnummer gehandelt. „Behördenhilfe,“ meint sie lakonisch, „seit 1987 mach' ich das.“ Übrigens hat sie so einen recht guten Überblick über die Ex-Jugoslawen-Szene in Bremen und findet die - das ist in anderen deutschen Städten anders - relativ friedlich. „Man geht sich aus dem Weg.“ In Bremen kann man das noch.

Burkhard Straßmann