Ein Trauerspiel -betr.: "An den Grenzen der Kunst", taz vom 4.12.93

Betr.: „An den Grenzen der Kunst“, 4. 12. 93

Ich finde es gut, daß die Vorführung des Films Beruf Neonazi vom Hamburger Filmbüro abgesagt wurde (...). Daß da kein Konsens bestand, daß dem Autor dieser Film „passiert“ ist, daß er kein inneres Korrektiv hatte beim Drehen, Schneiden, Ansehen, daß seine Freunde, Mitarbeiter und Kollegen dieses Korrektiv auch nicht hatten, das ist das Schreckliche daran, scheint sich hier Unwissenheit mit Wurschtigkeit zu paaren, wird historisches Wissen nivelliert, und die Schicksale der Opfer werden negiert. (...)

Das Statement der Kultursenatorin Christina Weiss finde ich äußerst problematisch, spricht aus ihm doch eine unpolitische Auffassung von einer scheinbar losgelöst vom Werk existierenden Freiheit der Kunst. Es gipfelt in dem Vorschlag: „Nach der Vorführung die erschütternden Berichte der Opfer nazistischer Gewalt zu hören, das wäre die beste Antwort.“ Eine deutsche Antwort: pseudo-gerecht und brutal.

Welche Opfer sind gemeint? KZ-Opfer etwa, am besten mit Auschwitz-Vergangenheit? Ausgerechnet die sollen sich Menschenverachtendes und Auschwitz Negierendes anhören und -sehen müssen und dann gegen das dominierende Medium des Films und die Tatsache gegenhalten, daß der Autor, ein Deutscher der jüngeren Generation, ein Mann, (mal wieder) dem „Faszinosum“ der Nazis, der Täter, erlegen ist und sich mit ihnen in reißerischer, sensations-journalistischer Manier „gemein“ gemacht hat? (...) Und es bleibt mal wieder am Zentralrat und an Ignaz Bubis hängen, gegen die im Film gemachten Aussagen Anzeige zu erstatten. Schade, daß die Kultursenatorin sich nicht zu diesem Schritt entschlossen hat.

Astrid Louven, Autorin von „Die Juden in Wandsbek“, Co-Autorin von „Die Juden in Hamburg-Eimsbüttel 1933 - 45“