: 13 Jahre Löwenzahn auf toten Gleisen
■ Der Berliner S-Bahn-Ring war einst einzigartig in Europa / 1980 stellte die Reichsbahn den Betrieb im Westen ein / Frühestens in drei Jahren wird Südring-Lücke geschlossen
Dem Namen nach gibt es die „Berliner Ringbahn“ exakt seit dem 15. November 1877. An diesem Tag wurde mit der Inbetriebnahme der westlichen Teilstrecke von Moabit über Charlottenburg und Grunewald nach Tempelhof eine „Neue Verbindungsbahn“ zwischen den Eisenbahnlinien vor den Toren der Stadt vollendet. Der damalige Magistrat legte besonderen Wert darauf, daß die neue Bahn als Gürtelbahn im weitesten Umkreis um die Stadt führte und die Orte Pankow, Weißensee, Lichtenberg, Rixdorf (heute Neukölln), Tempelhof, Schöneberg, Wilmersdorf und Charlottenburg umfaßte. Mit der Einrichtung von Personenzügen sollte es der Arbeiterbevölkerung ermöglicht werden, billigere Unterkünfte außerhalb der Stadt zu finden.
Heute liegt die Trasse inmitten des steinernen Häusermeeres, da die Stadt explosionsartig wuchs. Gleichwohl erwies sich die anfänglich von militärischen Interessen diktierte Bahnplanung als zukunftsweisend. Die einst zumindest auf dem europäischen Kontinent einzigartige Ringbahn entwickelte sich zusammen mit der Stadtbahn zur wichtigsten Schnellbahnverbindung in Berlin und Umgebung. Rasch stiegen die Fahrgastzahlen an. Die Elektrifizierung der Strecke nach 1929 brachte einen weiteren starken Zustrom von Reisenden. Bald ratterten die Züge im Fünf-Minuten- Takt. Wirklich als „Vollring“- Züge verkehrten sie indes erst, als der Potsdamer Ringbahnhof und eine Südring-Spitzkehre 1944 nach Bombenangriffen stillgelegt wurden.
Als die Ostberliner Verwaltung der Reichsbahn nach einem Streik des S-Bahn-Personals im September 1980 den Zugverkehr auf fünf Westberliner Strecken einstellte, gehörte auch der Ring dazu. Über 13 Jahre lang wuchs Löwenzahn auf toten Gleisen. Zwar übernahm die BVG bereits Anfang 1984 den S-Bahn-Betrieb im Westteil, doch der damals regierende CDU/FDP- Senat hatte kein Interesse an der schnellen Wiederinbetriebnahme der Ringbahn. Er ignorierte den anschwellenden Bürgerprotest. Erst 1989 ließ die neue rot-grüne Regierung die Arbeiten zur Grunderneuerung der Ringbahn zwischen den Stationen Westend und Baumschulenweg beginnen.
Während die S-Bahn seit gestern wieder zwischen den Bahnhöfen Baumschulenweg und Köllnische Heide fahren kann, dauert es noch eine ganze Weile, bis eine andere Südring-Lücke geschlossen ist. Frühestens in dreieinhalb Jahren wird der östliche mit dem westlichen S-Bahn-Ring zwischen Treptower Park und Sonnenallee in Neukölln verbunden sein. „Nach derzeitigen Erkenntnissen“ könne erst im Mai 1997 der Betrieb über Sonnenallee aufgenommen werden, antwortete Verkehrssenator Haase dem grünen Abgeordneten Michael Cramer. Noch im Oktober war der Senator in einer Senatsvorlage von einem Lückenschluß „bis 1996“ ausgegangen.
Haase begründete die längere Dauer des Lückenschlusses mit den umfangreichen Arbeiten zur Sanierung oder zum Neubau von insgesamt fünf Brücken sowie einem komplizierten Kreuzungsbauwerk für das S-Bahn-Gleis. Unterdes sind aber die meisten Termine zur Schließung von Lücken im S-Bahn-Netz weiter unsicher. „Relativ“ fest steht nur, daß ab Herbst nächsten Jahres wieder Züge auf den Strecken von Schönholz nach Tegel sowie vom Bahnhof Priesterweg nach Lichterfelde Ost rollen werden, so Haase-Referent Alexander Kaczmarek. „Dann wird alles schon sehr ungewiß“, räumte der Referent ein.
Grund der Unsicherheit: Zum heutigen Zeitpunkt wissen die Bahnplaner immer noch nicht genau, wieviel Geld der Bund ab 1995 jährlich für den Ausbau der Berliner S-Bahn bereitstellt. Im Zusammenhang mit der Bahnreform muß der Verteilungsschlüssel, nach dem die Länder für ihren Nahverkehr Summen nach dem Gemeindeverkehrs-Finanzierungsgesetz (GVFG) erhalten, noch genau bestimmt werden. Thomas Knauf
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