Erfolglose Suche nach einer neuen Rolle

■ DGB-Tagung in Hattingen: Keine Antworten, kaum Fragen

Hattingen (taz) – Die Verunsicherung sitzt tief. Seit die Wirtschaftskrise über die Bundesrepublik hereingebrochen ist und die Arbeitslosenzahlen explodieren, ist es um den Deutschen Gewerkschaftsbund und seinen Vorsitzenden Hans-Werner Meyer still geworden. Denn auch der DGB selbst ist von einer tiefen politischen, programmatischen und nicht zuletzt finanziellen Krise erfaßt. Die relative Selbstsicherheit der achtziger Jahre mit ihren Versuchen, sich gegenüber den moderneren sozialen Bewegungungen zu öffnen, ist einem unsicheren Suchen nach einer neuen Rolle des DGB gewichen.

Diese Unsicherheit spiegelte sich auch in der Herbstagung des Hattinger Forums, die jetzt in der DGB-Bundesschule Hattingen stattfand. „Umbruch als Chance – Gewerkschaften nach 89“ hatte der Vorbereitungskreis als Thema gewählt. Aber der Verlauf der Tagung wurde diesem eher optimistischen Motto nicht gerecht.

Der DGB-Vorsitzende Heinz- Werner Meyer referierte zum Auftakt lustlos über die Gobalisierung der Märkte und des Wirtschaftsprozesses, über die wachsenden Schwierigkeiten nationalstaatlicher Problembewältigung und eine im Nationalen beschränkte gewerkschaftliche Position. Weniger pathetisches Wortgeklingel über internationale gewerkschaftliche Solidarität, mehr „elementare Kooperationen“ zwischen den nationalen Gewerkschaften lautete seine Forderung an die eigene Organisation. Zum Beispiel bei der Durchsetzung international gleicher Umweltstandards: „Aus Umweltdumping darf kein Wettbewerbsvorteil entstehen“.

Insgesamt aber kam Meyer zu der resignativen Schlußfolgerung: „Leider können wir in vielen Fällen nichts machen.“ Ob er damit nur die internationale gewerkschaftliche Politik oder aber den gegenwärtigen Gesamtzustand der deutschen Gewerkschaftsbewegung meinte, wurde nicht recht klar. Klarer wurde es auch nicht aus der Diskussionsvorlage des „Hattinger Kreises“. Auffällig ist, daß die gewerkschaftsnahen SozialwissenschaftlerInnen auch vier Jahre nach der Wende von 89 noch nicht imstande sind, die Dynamik der wirtschaftlichen und sozialen Krise in Deutschland präzise zu beschreiben. So blieb es eher zufällig, welche zukünftigen politischen Akzente sie den Gewerkschaften nahelegten: Ökologie, Migration, zweiter Arbeitsmarkt.

Weit entrückt von konkreten gewerkschaftlichen Handlungsmöglichkeiten forderte die hannoversche Sozialwissenschaftlerin Adelheid von Saldern als Sprecherin des „Hattinger Kreises“ ein „weltgesellschaftliches Verantwortungsdenken“ von den Gewerkschaften: so müßten die Lebensbedingungen in den osteuropäischen und den Entwicklungsländern die Lebensverhältnisse verbessert werden, um den Migrationsdruck zu verringern. Aber was die deutschen Gewerkschaften konkret dafür tun können, sagte sie nicht dazu. Ein Forum zum Thema „Rollback in die Geschlechterverhältnisse?“ fiel mangels Beteiligung ganz aus.

Die Auseinandersetzung über Ökologie, Geschlechterproblematik, gessellschaftliche Individualisierungsprozesse und ähnliche Themen der langjährigen innergewerkschaftlichen Zukunftsdiskussion ist auf dem Hattinger Forum kaum weitergekommen. Und die zentrale Debatte über eine gewerkschaftliche Strategie gegen Massenarbeitslosigkeit und soziale Krise schien zunächst im Streit um den zweiten Arbeitsmarkt zu versanden. Immerhin, die Gewerkschaften lehnen den öffentlich geförderten zweiten Arbeitsmarkt nicht mehr rundweg ab, wie noch vor wenigen Jahren. Aber als Chance für gesellschaftlich sinnvolle Arbeit in der Krise wird er von den meisten noch nicht gesehen.

Erst in der Abschlußdiskussion am Freitag morgen rückte das Thema Massenarbeitslosigkeit in den Mittelpunkt der Debatte. Das VW-Modell der Arbeitsumverteilung ist, das zeigte sich in Hattingen, innerhalb der Gewerkschaften heiß umstritten. „Das VW-Modell ist ein Beispiel solidarischer Krisenbewältigung, das auch auf andere Bereiche übertragbar ist“, meinte Joachim Giegel von der Universität Jena. „Es ist letztlich eine Niederlage gegenüber den Rationalisierungsstrategien des Konzerns“, konterte Seppel Kraus von der IG-Chemie-Zentrale in Hannover. Der Streit um Arbeitsumverteilung und Arbeitszeitpolitik wird, dies läßt sich nach der Hattinger Tagung absehen, die innergewerkschaftliche Diskussion in den nächsten Jahren beherrschen. Martin Kempe