■ Linke und Lametta
: Die letzte tannenbaumfreie Weihnacht

Natürlich hasse ich Weihnachten. Abgrundtief. Schon ab November, wenn die ersten Nikoläuse debil aus den Schaufenstern lächeln, könnte ich ihnen die Schokoladenköppe abreißen – aber das wäre natürlich ein verurteilenswerter rassistischer Akt. Und im ganzen Monat Dezember leide ich unter Schimpf- und Nörgelzwang. „Verdammte Konsumkacke“ und so weiter, das ist zugegebenermaßen schrecklich abgedroschen, aber dennoch immer noch wahr.

Dieses Jahr nörgele ich besonders gerne – im Bewußtsein dessen, daß es sich wahrscheinlich um unsere letzte tannenbaumfreie Weihnacht handelt. Denn nächstes Jahr ist der Sprößling schon alt genug, um eine Badewanne voller Tränen zu heulen, wenn kein Tännlein mit Kerzlein und Kekslein bereitsteht. „Um Himmels willen, wenn ich an das kommende Jahr denke“, stöhnen Mama und Papa also abwechselnd und mit möglichst viel Schmerz in der Stimme. Das kommende Jahr?

Der Genosse Vater war der erste, der die eiserne Regel der kommerzfreien Advents- und Weihnachtszeit durchbrach und eines Tages verlegen ein kleines Paket in der Hand drehte: „Ich hab das Dschungelbuch auf Videokassette mitgebracht. Wir könnten doch jetzt schon testen, ob das pädagogisch wertvoll ist.“ Wir testeten. Mit Genuß.

Doch es sollte noch schlimmer kommen. Kurze Zeit später habe ich uns beide in flagranti dabei erwischt, wie wir ausgerechnet am verkaufsoffenen Samstag, ausgerechnet in den vollsten Kaufhäusern, ausgerechnet in der schlimmsten Kommerzmeile Berlins nach einer roten Quietschente fandeten. Um unserem Sohnemann ab Weihnachten die abendliche Badestunde zu versüßen. Mit Engelslächeln boten uns die VerkäuferInnen pastellfarbene Puppenwannen an. Aufblasbare Nilkrokodile. Ökofische aus recyceltem Algenstoff. Froschorchester mit eingebautem Digitalschlagzeug und Quakometer. Aber: keine Ente. Nirgends.

Zwei Stunden dauerte unsere Tor-Tour duch die drängelnden Massen. Mit blauen Flecken am ganzen Körper, völlig verbeult und demoralisiert kamen wir nach Hause zurück. Den Tränen nahe gestanden wir uns: selber schuld! Irgendein scheußlicher Trieb aus dunkler Vergangenheit muß uns verleitet haben. Weihnachten sitzt tief, unauslöschbar tief in Mark und Pfennig der deutschen Seele.

Gemeinsam schimpften wir gegen den hochentwickelten Kapitalismus, der nicht mal in der Lage ist, rote Quietschenten zu produzieren und versanken in melancholisches Schweigen.

Um der Frustration eine Ende zu bereiten, entfuhr mir ein Gedanke: „Fahren wir morgen auf den Weihnachtsmarkt?“ Ich wurde knallrot und begann zu stottern: „Ve...ver...vergiß es, es war ja nur eine Idee.“ Ute Scheub