Algerien: Verhandlungen mit der FIS?

Der „Hohe Staatsrat“ bleibt einen weiteren Monat an der Macht / Planungen für eine Nationalkonferenz Ende Januar / Verklausuliertes Angebot an die verbotene „Islamische Heilsfront“ (FIS)  ■ Von Khalil Abied

Berlin (taz) – Algerien bleibt weiterhin im blutigen Schwebezustand. Ministerpräsident Ridha Malik erklärte am Samstag nach einem Treffen zwischen dem regierenden „Hohen Staatsrat“ und der „Kommission für einen Nationalen Dialog“, der Staatsrat um Präsident Ali Kafi werde nicht wie angekündigt zum Jahresende abtreten, sondern einen weiteren Monat an der Macht bleiben. Gestern berieten in Algier der Staatsrat und der „Hohe Sicherheitsrat“ über die Einberufung einer Nationalkonferenz in der letzten Januarwoche. Die Gespräche blieben geheim, jedoch sind sich die meisten Beobachter einig, daß Algeriens Machthaber darüber berieten, ob und wie die verbotene „Islamische Heilsfront“ (FIS) an der Macht zu beteiligen ist.

Der fünfköpfige „Hohe Staatsrat“ regiert seit der Unterbrechung der ersten freien Wahlen Algeriens im Dezember 1991 durch das Militär das Land. Damals hatte sich nach dem ersten Wahlgang ein Sieg der FIS abgezeichnet. Die „Kommission für einen Nationalen Dialog“ wurde von den Machthabern geschaffen, um Übergangsregelungen für eine Redemokratisierung Algeriens einzuleiten. Ihr gehören die Regierung sowie Vertreter des Militärs und laizistischer Oppositionsparteien an.

Am Freitag hatte die Kommission ein verklausuliertes Angebot an Mitglieder der FIS gemacht. In einer Erklärung hieß es, viele Anhänger der FIS seien „keine Terroristen“. Die Kommission sei bereit, weitere Parteien aufzunehmen, vorausgesetzt, diese akzeptierten den „republikanischen Charakter“ des Staates. Einen Tag zuvor hatte der nach Deutschland geflohene Vorsitzende des FIS-Exekutivkomitees im Ausland, Rabah Kebir, von der algerischen Führung verlangt, alle „politischen Gefangenen“ freizulassen, seit dem „Putsch“ im Dezember 1991 erlassene Gesetze und Verordnungen zu annullieren und eine unabhängige Untersuchungskommission für die Ereignisse seitdem einzurichten. Kebir bezeichnete die Erfüllung dieser Forderungen als Vorbedingung für Verhandlungen. Im gleichen Atemzug distanzierte er sich von den jüngsten Morden an mindestens 23 Ausländern. „Es ist nicht das Ziel der Heilsfront, Ausländer zu bekämpfen“, sagte er, allerdings seien Fremde, die „auf der Seite der Unterdrücker“ stünden, „nicht willkommen“.

Die meisten legalen politischen Parteien Algeriens fordern mittlerweile einen Dialog mit der FIS. Die von der Unabhängigkeit bis 1991 regierende „Nationale Befreiungsfront“ (FLN) machte ihn zur Bedingung für ihre weiteren Kontakte zu dem Regime. Und selbst die säkulare „Front Sozialistischer Kräfte“ (FFS), die sich bisher als erbitterte Gegnerin der FIS darstellte, meint neuerdings: „Der Kern des Problems ist der Konflikt zwischen dem Regime und der FIS. Solange die beiden Feinde nicht miteinander verhandeln, wird es keine Lösung geben.“

Auch führende Generäle des algerischen Militärs sprechen sich für Verhandlungen mit den Islamisten aus, darunter auch Verteidigungsminister Khaled Nizzar. Der General gilt als der starke Mann Algeriens und eigentlicher Drahtzieher des Regimes. Arabische Zeitungen berichteten mehrmals von Treffen zwischen Vertretern der FIS und des Regimes in europäischen Hauptstädten.

Angesichts dieser Kontakte läuten bei einigen Algeriern die Alarmglocken. Vor allem jene Geheimdienstler und Generäle, die seit Monaten die blutige Hatz auf alles, was nach Islamisten aussieht, betreiben, fürchten eine Einigung zwischen der FIS und dem Regime. Die früheren Kommunisten, die sich jetzt „Partei der Herausforderung“ nennen, opponieren ebenfalls gegen Kompromisse mit der FIS. Die Kleinpartei hat zwar kaum Anhänger unter der algerischen Bevölkerung, wohl aber in die „sozialistische Periode“ der FLN zurückreichenden Einfluß in die obersten Ränge des Staatsapparates.

Kompromißbereite Kräfte werfen Militärs und Sondereinheiten vor, den Krieg gegen die Islamisten anzuheizen, um den geheimen Dialog zwischen FIS und Regime zum Scheitern zu bringen. Mehrere Städte und ganze Bezirke der Hauptstadt Algier wurden in den letzten Wochen gleich für mehrere Tage abgeriegelt. Dabei wurden angeblich mehrere tausend Sympathisanten der FIS festgenommen. In Algerien kursieren Gerüchte, wonach jeder zehnte von ihnen erschossen worden sein soll.

Die politische Szene des Landes wird durch die jüngsten Erklärungen nicht übersichtlicher. Seit Wochen versuchen die verschiedenen politischen Cliquen Pluspunkte zu sammeln, um sicherzustellen, daß Kafis Nachfolger aus ihren Reihen kommt. Kafi signalisierte mittlerweile mehrfach, daß er es nicht bedauern würde, weiter an der Macht zu bleiben, um „ein Machtvakuum“ zu verhindern.

Kafis ärgster Widersacher ist Premierminister Malik. Seit seiner Ernennung im Sommer versucht er seinen Chef zu dominieren. Als Alternative zu Kafi und Malik bietet sich der frühere Außenminister Ahmad Talib el-Ibrahim an. Er schlug einen „nationalen Dialog“ vor, an dem die Armee, FIS, FLN und FFS beteiligt werden sollten. Viele halten eine Präsidentschaft von el-Ibrahim für die letzte zivile Variante vor der vollständigen Machtübernahme der Militärs.