: Hilfe für Mörder, nicht für Opfer
■ In Riga gibt es kein Geld für die letzten Holocaust- Überlebenden
„Ich bin ja bloß das Resultat einer Panne in der NS-Vernichtungsmaschinerie und müßte von Rechts wegen schon ein halbes Jahrhundert im Massengrab im Rumbula Wald liegen und längt vermodert sein“, sagt Margers Vestermais über sich. Vor 50 Jahren, am 2. November 1943, wurde das Ghetto von Riga liquidiert. Die lettischen SS-Leute, Kollaborateure der Mörder, haben sich 1941 in deutsche Listen eingetragen und beziehen so heute eine Rente von der Bundesregierung. Für Opfer wie Vestermais gab es bisher kein Geld vom deutschen Staat. Nach dem Bundesentschädigungsgesetz bekommen nur die Opfer des Holocaust sogenannte „Wiedergutmachungszahlungen“, die einen entsprechenden Antrag vor 1965 gestellt haben. Heute gäbe es für neue Anträge keine Rechtsgrundlage mehr, lautet die Begründung aus Bonn.
Für die Überlebenden des Terrors sammeln zwei jüdisch-christliche Gesellschaften und das Baltische Informationsbüro zusammen mit der früheren „Deutsch-Sowjetischen Gesellschaft“ Geld. 7.500 Mark sind schon zusammengekommen – die ÖTV und eine Reederei haben sie gespendet. Mit dem Geld sollen die letzten 117 JüdInnen in der Partnerstadt Riga, die den Massenmord der Nazis überlebten, unterstützt werden.
Im März überreichte eine Delegation der Jüdischen Gemeinde Riga und die Vereinigung ehemaliger Ghetto- und KZ-Häftlinge Lettlands dem Bundeskanzler in Bonn einen Brief, in dem es hieß: „Die Überlebenden können belegen, daß dem deutschen Staat bereits bis Mai 1942 4,5 Mio. Reichsmark aus der Beschlagnahme jüdischen Eigentums und 5,5 Mio. Reichsmark aus der sogenannten Verwertung der Judenarbeit in Lettland und Litauen zugeflossen sind.“ Es gehe nicht um Almosen, sagen die Überlebenden.
„Es ist für die Glaubwürdigkeit der deutschen Demokratie entscheidend, wie sich die Bundesregierung in der Frage der materiellen Entschädigung verhält“, meinte Helmut Hafner von der Deutsch-Israelischen Gesellschaft bei der gestrigen Pressekonferenz. Jetzt müsse schnell gehandelt werden. Mit der Spendenaktion soll auch das 1992 neugegründete Jüdische Krankenhaus „Bikur Holim“ in Riga unterstützt werden. Mit einer Mindestrente von umgerechnet 45 Mark müssen die meisten der letzten Holocaust-Überlebenden auskommen. Das entspricht dem amtlichen Existenzminimum von 1991. Inzwischen haben sich jedoch die Preise versechsfacht. „Ich bin mit 68 Jahren einer der jüngsten“, schreibt Margers Vestermanis. „Die anderen sind über 70 und 80 Jahre alt. Unsere Hauptbeschäftigung ist, daß wir unsere Kameraden beerdigen. Das Sterben ist heute teurer als das Leben. Die Ersparnisse sind verloren. Wir sind für jede Hilfe dankbar. Aber wir wollen keine Almosenempfänger sein. Wir werden den deutschen Staat nicht sehr lange belasten.“ S.L.
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