Ein Alptraum mit Staubläusen

■ Im verseuchten Magazin des Übersee-Museums verrotten Millionenwerte / Ein Abstecher ins Niemandsland

Vorkehrungen wie beim Besuch auf der Intensivstation: Wir legen Maske, Schutzhandschuhe und Arbeitskittel an. „30 Minuten Zeit und nicht mehr“, heißt es. Eine Eisentür wird aufgeschlossen. Völkerkundler Peter Junge leuchtet mit einer Handlampe endlose Regale aus. Rund 100.000 Objekte liegen hier, von afrikanischen Schnupftabakgefäßen bis zu schlanken Südseebooten. Wir sind im Magazin des Bremer Übersee-Museums. Und das ist ein Alptraum.

„Eine der größten völkerkundlichen Sammlungen der Bundesrepublik Deutschland ist vom endgültigen Verfall bedroht“, schreibt Kultursenatorin Helga Trüpel im eben erschienenen Museumsjahrbuch. Bedroht durch die provisorische Unterbringung in der heruntergekommenen ehemaligen Staatsbibliothek zwischen Übersee-Museum und Bahnhof. Zudem wird die Sammlung nur noch notdürftig von Museumsleuten gewartet, seit Herbst 1992 ist das Magazin geschlossen. Der Grund sind Altlasten.

Jahrzehntelang waren Übersee- Schätze mit giftigen, teilweise krebserregenden Holzschutzmitteln und Insektensprays benebelt und begast worden. Aus Notwehr, erklären die Völkerkundler Peter Junge und Dieter Heintze, gegen Wollkrautkäfer, Tabakkäfer, Brotkäfer, Kräuterdiebe und Staubläuse, die sich in völkerkundlichen Magazinen mit Vorliebe durch Textilien und Holzskulpturen fressen.

Notwehr aber auch gegen Schimmelpilze und Textilmotten. Die Folge: Während viele Insekten inzwischen resistent gegen diese Gifte sind, belegen Staub- und Luftanalysen des Bremer Umweltinstituts (ebenfalls im Jahrbuch veröffentlicht) „eine erhebliche gesundheitliche Gefährdung für Menschen, die sich in diesen Räumen länger aufhalten“.

„Das ist ein Teufelskreis“, so Junge. „Die Museumsleute bleiben draußen, die Insekten drinnen, und der Schimmelpilz wächst weiter.“

„Passen Sie auf die Kabel auf, die hier rumliegen“, warnt er bei einem seiner selten gewordenen Gänge durch das beengte Magazin. Wie Massenartikel im Supermarkt lehnen hier Holzschilde aus der Südsee an Notgerüsten aus Holz und Maschendraht. Versicherungswert pro Stück zwischen 80.000 und 100.000 DM.

Daneben in verzinkten Kellerregalen Stapel von Trommeln, Ahnenfiguren und Transportkisten. In einem Pappkarton hockt eine lebensgroße Tonfigur. Ein paar Schritte weiter Plankenboote, Einbäume und ein kreisrund geflochtenes, geteertes Boot, das vor rund 80 Jahren auf Euphrat und Tigris benutzt wurde.

In anderen Regalen liegen Büffel- und Kuhmasken aus Kamerun herum. Nebenan Giftpfeile. „Sieht aus, als hätte hier ein Schrotthändler sein ganzes Gerümpel abgeladen“, sagt der Museumsmann, „das ist doch ein mehr als grotesker Zustand.“

Auf 2800 Quadratmetern verrotten Kunstwerke. Schutzschränke und Klimaanlagen fehlen, wo etwa 95 Prozent der völkerkundlichen Schätze des Übersee-Museums im Wert eines „dreistelligen Millionenbetrags“ (Trüpel) lagern.

Beim Rundgang zeigt Peter Junge feuchte Wände, die von Schimmelpilzen befallen sind. Fenster und Dach sind undicht. Der Putz bröckelt. Fensterbänke vermodern. Mauern scheiden Salpeter aus. Zwischentüren werden provisorisch mit Lappen und Besen verkeilt. Der Fahrstuhl ist außer Betrieb. Allein die Alarmanlage funktioniert tadellos.

Die Finanzierung eines modernen Schaumagazins für das Übersee-Museum habe Priorität, sagt die Kulturbehörde vage. Immerhin hat sie Mittel beantragt aus dem geplanten „Investionssonderprogramm“ für die nächsten fünf Jahre.

Bis auf weiteres aber bleibt es dabei: Lichtempfindliche Textilien aus aller Welt, chinesische Sandalen und indonesische Stabpuppen liegen im prallen Licht, weil sich die Styroporplatten an den Fenstern zersetzen. In Plastikfolie eingeschweißte Kleidungsstücke bleiben einem „ungünstigen Kleinklima“ ausgesetzt. Asiatische Vasen, Truhen und Theatermasken reagieren auch weiterhin allergisch auf die ungebremsten Temperaturschwankungen. Der Lack ist längst ab. „Schäden, die sich nicht wegrestaurieren lassen“, sagt Junge. „Vieles ist irreparabel“.

Sabine Komm