Ereignisse drängten zu den Kameras

■ „Rumänien, Videogramme einer Revolution“, morgen Hessen 3, 23.15 Uhr

Das erste Opfer eines Krieges ist immer die Wahrheit, heißt es. Bei Revolutionen ist das nicht anders. Im Eifer des Gefechts verbreiten sich Gerüchte schneller als der Schall, verdichtet sich gezielt gestreute Propaganda zu akzeptierten Tatsachen. Wie das Fernsehen beim Sturz des Ceaușescu-Regimes in Rumänien zur Legendenbildung beigetragen hat, wie seine Bilder aber auch Flüsterpropaganda dementierten, davon handelt der Dokumentarfilm „Rumänien, Videogramme einer Revolution“. Der Berliner Regisseur Harun Farocki hat die Dokumentation des Umsturzes in Rumänien zusammen mit dem rumänischen Literaturwissenschaftler Andrej Ujica aus Profi-Fernsehaufzeichnungen und Amateur-Videofilmen zusammengestellt.

Die Bilder, die Farocki an den Beginn seines Films stellt, sind eher unspektakulär. Als Ceaușescu seine berühmt gewordene letzte Rede von seinem Palast in Bukarest hielt, hatten die Kameramänner des rumänischen Fernsehens Anweisung, im Falle von Unruhen oder Störungen nicht mehr auf die Menschenmenge zu halten. So sieht man auf allen „offiziellen“ Bildern vom ersten Widerstand gegen den Diktator nur den graublauen Himmel über einem Hochhaus-Rohbau, während auf der Tonspur die Pfiffe und Protestrufe der Menge immer lauter werden. Das Staatsfernsehen zeigte zu diesem Zeitpunkt nur noch ein Testbild.

Auch die Amateurfilmer wagten sich mit ihren Kameras noch nicht auf die Straße. Die erste große Demonstration, die mit wackeliger Videokamera von einem Fenster aus gefilmt wurde, ist nur im Hintergrund zwischen zwei Hausblöcken zu erahnen. Erst als die Fernsehkameras die Seiten wechseln und zu den Aufständischen überlaufen, beginnt das Tempo der Bilder sich der Geschwindigkeit des Umsturzes anzunähern. Und plötzlich „drängen die Ereignisse zu den Kameras“, wie Harun Farocki sagt, und wir sehen, wie von einem Logenplatz aus, wie die Massen den Palast Ceaușescus stürmen und seine Bücherei vom Balkon werfen, während der Diktator gerade mit seinem Hubschrauber vom Dach abhebt. Es hat fast den Anschein, als hätten die anonymen Kameraleute den Umsturz im Auftrag der Aufständischen dokumentiert. Mehr als einmal hört man, wie ein Demonstrant der Kamera zuruft: „Das mußt du filmen.“ Nach der rituell anmutenden Zerstörung der Bibliothek ziehen die Massen zum staatlichen TV-Sender, den sie besetzen. In den nächsten Tagen zeigt das rumänische Fernsehen, das vorher nur zwei Stunden tägliches Programm geboten hatte, ununterbrochen Sondersendungen aus einem improviserten Live-Studio.

Daß die Massenmedien bei dem rumänischen Umsturz so eine wichtige Rolle spielten, hat einige Medienkritiker zu der These verführt, daß die Revolution nur im TV stattgefunden habe – eine Theorie, der Farocki widersprechen will. Zwar hätten viele Menschen „nur eine Kerze auf den Balkon gestellt, weil das im Fernsehen ein symbolträchiges Bild abgab“, gleichzeitig will er aber auch zeigen, „daß da tatsächlich etwas war“. Tilman Baumgärtel