Seelenlos und unsympathisch

■ Unterkühlt: Der Roman „Kein fremder Land“ der Krimiautorin Doris Gercke

Ihrem neuen Roman hat Doris Gercke ein Brecht-Zitat vorangestellt: „Da fragte ich mich: Was für eine Kälte/ Muß über die Leute gekommen sein/ Wer schlägt da so auf sie ein/ Daß sie jetzt so durch und durch erkalten?“ Ein Ausspruch, der - unfreiwillig - die Kälte des Romans Kein fremder Land entlarvt.

Die Handlung spielt in nicht allzu ferner Zukunft. Nach dem Wahlsieg der rechtsgerichteten „Ethno-Zentristen“ in Deutschland, reist die erfolgreiche Schriftstellerin Lisa Talbach nach Mallorca, um in ihrem Haus zu arbeiten. Von dort wird sie entführt, weil die neuen Machthaber beschlossen haben, alle bekannten Künstler in ihre Heimat zurückzuholen. In der Türkei - die hier die Polizeifunktion in der „Festung Europa“ übernommen hat - gefoltert, lebt sie in Deutschland zunächst zurückgezogen und wird schließlich bei einem geheimen Treffen mit Regierungsgegnern erschossen.

Doris Gercke setzt der Kälte, die das Brecht-Zitat beklagt, keine Wärme entgegen. Sie läßt den Leser die Kälte nicht einmal spüren. Allein ihr Blick auf die Menschen ist kalt und unfreundlich, nicht aber die Atmosphäre ihres Buches. Die Figuren bleiben seelenlos, sie sind auf wenige unsympathische Wesenszüge eingeschränkt. Es gelingt Doris Gercke nicht, ihnen tiefere Konturen zu geben. Deshalb läßt sich bei diesen Figuren auch kaum von Personen sprechen.

Selbst die Hauptfigur Lisa Talbach bleibt blaß. Ihre einzige Aufgabe scheint es zu sein, die Eitelkeit der Autorin zu befriedigen. So steht an einer Stelle über sie: „Als Schreibende mußte ihre gesamte Existenz gegen die Gesellschaft gerichtet sein; eine Haltung, die allein es ermöglichte, der Wahrheit näherzukommen, ...“ Davon abgesehen, daß der Leser nie erfährt, welche Wahrheit hier gemeint ist, liegt die Vermutung nahe, daß es sich hier um die Lebensphilosophie der Schriftstellerin Gercke handelt.

Doch neben Peinlichkeiten, die sich durch das ganze Buch ziehen - etwa wenn Doris Gercke, Autorin von sechs gewalttätigen Kriminalromanen, über ihre Heldin schreibt: „In Wirklichkeit hatte sie die masochistischen Bedürfnisse gescheiterter Linker und unerträglicher Klugscheißer mit Abitur bedient, ...“ -, ist der Roman ganz einfach langweilig. Es stellt sich die Frage: Darf eine Schriftstellerin so harmlos über die Rechten schreiben? Zu einer Zeit, in der von ihnen längst wieder eine konkrete Gefahr ausgeht.

Spielt für den Verlag allein der kommerzielle Erfolg der Krimiautorin Gercke eine Rolle? Kein fremder Land kann der Lektor jedenfalls nur flüchtig gelesen haben, einmal werden gar die Namen der Figuren vertauscht. Wieder trifft das Brecht-Zitat zu, das so endet: „So helft ihnen doch!/ Und tut es in Bälde!/ Sonst passiert euch etwas, was ihr nicht/ für möglich haltet.“

Torsten Schubert

Doris Gercke, „Kein fremder Land“, Hoffmann und Campe, 1993, 34 Mark