Das war prima!

■ „einmal ausatmen können“: Hans Man in't Velds Abschiedsinszenierung als Kampnagel-Leiter

Es war ein künstlerischer Abschied nach Maß: Hans Man in't Velds letzte Produktion in seiner Amtszeit als künstlerischer Leiter von Kampnagel. Mit der Text- und Szenencollage „einmal ausatmen können“ schuf der scheidende Chef einen Erzählraum für Lebensscherben, Träume, Gedichte, Sketche, Abschiedssentimentalitäten, Tanz und brillante Schauspieler um das Thema „Sehnsucht“. Die rhythmische Abfolge und die einzelnen Szenen funktionierten gleichermaßen elegant, so daß selbst die wenigen kitschigen oder „leidenschaftlichen“ Ausrutscher gut aufgehoben nicht weiter ins Gewicht fielen.

Und wie bei fast allem Guten ist das Grundkonstrukt ganz simpel. Vier weiße Verweilstühle, wie sie an der Außenalster oder bei Planten un Blomen zum Meditieren, Träumen und Sinieren einladen (an den neun Tagen, die es in Hamburg schön ist), plaziert vor einer Milchglaswand mit Schiebetüren, liefern den ganzen sehnsuchtsvollen Rahmen (Ausstattung: Zazie Knepper). Alles weitere ist Spiel, geboren aus der Improvisation und den marginalen Geschichten des Lebens, die den größten Geruchsstoff haben.

Pubertäres Anbaggern in der Disco und Zotiges im Altersheim, eine surreale Spieleshow (endlich eine gelunge Parodie auf dieses Genre) und „südländisches“ Verlangen über Kreuz mit blutig-geilem Stierkampf, melancholische Literaturfetzen von Rilke, Duras, Neruda und Shakespeare, folgen den erfundenen Geschichten von einschneidenden Erlebnissen eines durchschnittlichen Lebens. Und alle Momente werden fixiert von der Kamera: Verweile doch, du bist so schön.

Ein Konzept also, das seine Hauptstütze in der Präsenz der Schauspieler hat, und diese ist beeindruckend. Helen Suyderhoud, Kenneth Herdigein, Johannes Haag und Marion Amschwand beherrschen die aus der gemeinsamen Improvisation geborene temporeiche Verwandlung mit kühler Sicherheit. Der Kurzweil, der sich aus dem sicher geführten Hindernisrennen über die Hemmschwellen der Wunschvorstellungen und Ängste ergibt, ist dabei stets gehaltvoll und nie tiefsinnig.

Unterhaltungs-erschwerend hinzu kommt, daß die Vielzahl der stilistischen Mittel souverän komponiert wurde. Eine elegische Liebeszauber-Choreografie verwandelt sich schnell in einen Scherz und nachdem man erfährt, daß das schönste, was es gibt, 9 Windstärken sind, nimmt man Teil an spießigen Hochzeitsträumen. Oder derselbe Schauspieler spielt im Verlauf des Abends eine niedliche Tunte, einen orthodoxen Juden mit Liebesproblemen und „Leidenschaft interruptus“.

Voller Selbstironie führt sich der ehemalige Gründer des Amsterdamer Werktheaters Man in't Veld, der hier die damals entwickelten Konzepte des improvisativ erarbeiteten Theaters so geschmeidig wiederverwendet, selber ein. Im Feudeln von Wasserresten, mit zackigen „Musik“-Befehlen und einem kurzen melancholischen „letzten Wort“ über sich und Kampnagel punktuiert er seine Hamburger Erfahrungen in knappster, charmanter Weise. Prima. Till Briegleb