Kerzen und Eßpakete für drei Tage

Die schlammigen Massen des Jahrhunderthochwassers versetzen die Anwohner von Rhein, Saar, Mosel und Nebenfüssen in Panik. In Saarbrückens Innenstadt fällt wegen überfluteter Verkaufsflächen das Weihnachtsgeschäft buchstäblich ins Wasser

Es kommt ganz plötzlich, drückt sich aus der Wand, sprudelt aus dem Abfluß und strömt von der Straße ins Haus. Im Saarbrücker Stadtzentrum stehen am Mittwoch mittag fast alle Keller voll mit dem braunen, schlammigen Naß. Der Wasserstand der Saar ist in der Landeshauptstadt über Nacht auf 9,30 Meter angestiegen – als normal gilt zwischen zwei und drei Metern. Auf dem St. Johanner Markt, dem Fußgängerzentrum, stehen die Männer des Technischen Hilfswerks bis zur Hüfte im Wasser. In den meisten Kneipen sind selbst hohe Theken überspült. „Da schwimmt alles weg“, jammert ein Gastwirt. Im rezessionsgeplagten Saarland ist bereits die Sommersaison schlecht gelaufen. Nun wird auch über Weihnachten an den bereits ausgebuchten Tischen niemand mehr sitzen.

Aus der Haupteinkaufsstraße zwischen Bahnhof und Markt melden fast alle Läden „Lager unter“. Auch viele Verkaufsflächen sind bereits überflutet, das große Weihnachtsgeschäft mit den Spätentschlossenen, die wegen gesperrter Straßen das Zentrum ohnehin kaum noch erreichen, fällt buchstäblich ins Wasser. Der Verkehr in der Stadt kommt um die Mittagszeit total zum Erliegen: Rettungswagen und Busse stecken fest. „Der totale Wahnsinn“, brüllt ein Polizist über die Kreuzung, „da quetschen sich jetzt auch noch Hochwassertouristen in die Stadt.“

Doch viele irren eher hilflos umher. Denn die Feuerwehr pumpt schon lange keine privaten Keller mehr leer. Die 1.000 Einsatzkräfte haben mit der Sicherung der zentralen Versorgungseinrichtungen bereits alle Hände voll zu tun. Das Wasser legt immer mehr Strom- und Telefonverteiler lahm. Im Heizkraftwerk Römerbrücke kämpfen Mitarbeiter der Stadtwerke und die Feuerwehr verzweifelt gegen eindringende Wasserfluten. Fällt hier die zentrale Umspannstation aus, dann stehen zwei Drittel aller Saarbrücker Haushalte über Weihnachten ohne Strom und Heizung da.

„Die Lage“, so Stadtwerke- Chef Willy Leonhardt, „ist dramatisch.“ Eine Prognose will er nicht wagen, denn am frühen Nachmittag setzt wieder Dauerregen ein. In vielen Wohnungen ist die Kellerheizung bereits wegen Überflutung ausgefallen. Öltanks geraten in Bewegung, einige schlagen Leck. In den überschwemmten Straßen riecht es penetrant nach Heizöl.

Seit Montag abend strömt das Wasser auch in die ersten Wohnungen. Wer nicht weiter als 50 Meter vom einstigen Saarufer entfernt wohnt und die Erdgeschoßwohnung erwischt hat, beginnt zu räumen – viele bereits mit den Knöcheln im Wasser. Häuser mit tieferliegenden Eingangstüren sind über das Erdgeschoß nicht mehr erreichbar. Ein Altersheim muß evakuiert werden. Auch hier schießt Wasser durch faustdicke Schläuche aus dem Keller. Doch angesichts vollgelaufener Kanäle fließt alles wieder zurück. Fassungslos stehen Vermieter und Mieter vor den Häusern – manche mit Tränen in den Augen, denn gegen Hochwasserschäden ist kaum jemand versichert.

Fachhändler Mettler hat seit Dienstag morgen 500 Gummistiefel abgesetzt, 3.000 liegen noch in einem Lager außerhalb der Stadt, doch der Lkw kommt nicht durch. Er soll auch Wasserpumpen in den Laden bringen. „30 Stück zum Preis von 900 Mark haben wir schon verkauft“, sagt der Chef, der selbst gegen die Überschwemmung im Keller kämpft. Die Nachfrage nach den teuren Pumpen ist größer als das Angebot. Der Laden wartet auf ein „Billigmodell“ für 350 Mark. Es schafft 10.000 Liter in der Stunde. Doch „wenn es nicht aufhört zu regnen“, warnt ein Feuerwehrmann, „reicht auch das nicht mehr.“

Besonders schlimm bleibt am Mittwoch auch die Situation im ostsaarländischen Blieskastel. Die gesamte Stadtmitte liegt 1,50 Meter unter Wasser. Zahlreiche Häuser sind komplett überschwemmt. Etwa 50 Menschen wurden evakuiert, die meisten anderen bleiben in ihren eingeschlossenen Häusern. Sie werden aus Schlauchbooten mit Notrationen versorgt: Kerzen und Eßpakete für drei Tage. Frank Thewes, Saarbrücken