Village Voice
: Essigsüße Tonerde

■ Der Vokalkünstler Christian Wolz und sein „Lied eines Wahnsinnigen“

Die Welt ist schlecht, das wissen wir nicht erst seit jenen netten kleinen Liedchen, mit dem sich „Der Plan“ in unseren Gehörgängen breitmachte.

Daß die menschliche Schlechtigkeit hauptsächlich darin besteht, wegzuhören und -zusehen – diese Erkenntnis erhellt allerdings nur wenige Geister. Ist die Wahrnehmung aber einmal geschärft, bleibt sie ein lebenslanges Trauma – unabschaltbar.

Der Berliner Christian Wolz ist einer derjenigen, die das Schreien der Stummen in der U- Bahn, das Aufbegehren der scheinbar willenlos im Alltag Ertrinkenden nicht mehr losläßt.

Mit allen vokalen Möglichkeiten, die zwei menschliche Stimmbänder hergeben, singt er an gegen Gleichgültigkeit und Ausgrenzung, gegen die scharfe Trennlinie, die gezogen wird zwischen Realität und Transzendenz jener anderen Welt, die sich weder in Zeit noch in Quadratmetern messen läßt.

Wolz versteht sich als Medium, weniger im spiritistischen Sinn als in den verschiedenen Formen einer ursprünglich sinnlichen Kommunikation. Umgeben von einer minimalistisch-zurückhaltenden Instrumentierung – hier ein wenig vom Winde verwehtes Cellostreichen, da ein Hauch elektronischer Lautmalerei – röchelt und schreit, jammert und schnaubt, zischt und säuselt er sich durch sein „Lied eines Wahnsinnigen“, seine zweite CD, die in seiner persönlichen, lateingefärbten Sprache „Devil Intus Mestra De La Fore“ heißt. Es ist ein beinahe 26 Minuten langes Klagelied, atemlos dargebracht als akustischer Appell an verschüttete Gefühle.

Die einem verstorbenen Freund gewidmete CD ist sowohl eine Auseinandersetzung mit Angst und Tod als auch ein Driften durch die Farben der menschlichen Stimme. Ohne daß je der Verdacht aufkommt, hier triebe einer vokalen Hochleistungssport, singt Wolz Tenor, Baß und Countertenor ebenso wie Töne, die die Hörnerven harten Belastungsproben aussetzen. Die Atem- und Entspannungstechniken, die eine derart extreme Gesangsweise erfordern, hat er sich nicht zuletzt in seinem vorigen Leben als Krankengymnast erworben. Die Arbeit, vorwiegend in der Psychiatrie, offenbart sich darüber hinaus auch in der gewählten Thematik.

Wolz ist, wie Phil Minton, David Moss oder Carles Sauros, eine Ausnahmeerscheinung in der eher uniformen Riege männlicher Vokalkünstler. Inspiration und Anregung sind für ihn stets eher von Sängerinnen ausgegangen, auch wenn es zunächst ganz andere Notwendigkeiten waren, die Christian Wolz zum Gesang brachten.

Lange vor seiner ausufernden Stimmkunst gab es eine optische Phase, die sich in inszenierter Fotografie und Dia-Geschichten niederschlug. Lehm und Staub, Vogelsand und Heilerde verbanden sich in diesen Visionen mit ausgetretenem Boden, matschigen Landschaften, dem Ursprung Erde.

Für Ausstellungen und Vorführungen benötigte Christian Wolz eine passende Tonspur und begann mit seinen persönlichen Möglichkeiten zu experimentieren. Heute verbindet er beide Ebenen, stellt auch die verwendeten Samples selbst her, die meisten per verfremdeter, verzerrter, verstellter Stimme. Anna-Bianca Krause

Christian Wolz, „Devil Intus Mestra De La Fore“, Danse Macabre/EFA.